Nachruf auf eine Rose
alt geworden wäre. Ich weiß das deshalb so genau, weil meine Mutter damals für Mrs Wainwright gearbeitet hat. Es war eine schwere Geburt, die von Mrs Wainwright, meine ich, nicht die meiner Mutter, wir waren zu der Zeit schon alle auf der Welt, sieben Geschwister!»
Mr Willett zog viel sagend die Augenbrauen hoch, was seine Frau wieder zum eigentlichen Thema zurückkehren ließ.
«Mr Wainwright hatte sich immer eine große Familie gewünscht, aber das sollte nicht sein, denn Mrs Wainwright konnte keine Kinder mehr bekommen. Die Arme, aber wenigstens war es ein Sohn.»
Nightingale spürte einen Anflug von Wut und Empörung, doch sie unterdrückte diese Regung.
«Master Graham wurde furchtbar verwöhnt. Er bekam alles, was er nur wollte. Kein Wunder also, dass er sich anders entwickelte, als seine Eltern gehofft hatten. Er wurde von einer Schule zur nächsten weitergereicht. Aber schließlich war er der Sohn und Erbe. So wurde er behandelt, und so hat er sich auch aufgeführt.
Ein paar Jahre später ist Mrs Wainwright, Gott hab sie selig, dann auch schon gestorben; ziemlich früh, so ein Jammer, und meine Mutter wollte aufhören zu arbeiten, weil sie auch nicht mehr die Jüngste war. Mr Wainwright fragte sie, ob sie ihm eine Haushälterin empfehlen könne. Und sie antwortete: ‹Meine Millie natürlich›, und so haben wir dort angefangen, denn Joe musste auch mit, sonst hätte ich das nicht gemacht. Doch auf dem Anwesen gab’s sowieso alle Hände voll zu tun. Wir hatten ein paar wunderschöne Jahre dort, nicht wahr, Joe? Das war damals, als die kleine Selina sich verlobte, aber das hat nicht lange gehalten. Meine Güte, war das ein Skandal! Selina war Mr Wainwrights jüngere Schwester …»
Nightingale erinnerte sich an die Bilder der energisch wirkenden jungen Frau mit dem braunen Haar.
«… sie war immer gut zu uns gewesen. Sie lebte bei ihrem Bruder im Haus, und wie stolz er damals war, als sie sich mit Julian Sands verlobt hatte, das war sein bester Freund, müssen Sie wissen.»
«Bleib bei der Sache, Millie.»
«Aber das ist doch wichtig. Kurz drauf ist sie dennoch einfach auf und davon, aber nicht mit Julian Sands, sondern mit einem Vertreter. Henry Smith war sein Name.»
Nightingale begann zu verstehen.
«Alexanders Vater?»
Mrs Willett nickte zustimmend.
«So ist es. Das war Liebe auf den ersten Blick, ganz zweifellos. Ich kann mich noch genau entsinnen, wie sie völlig aufgelöst nach Bluebell Cottage gerannt kam – wir waren ungefähr im selben Alter, wissen Sie, und wem hätte sie sich sonst anvertrauen können? Sie war ganz schön eigensinnig, die Miss. Hatte den typischen Wainwright’schen Starrkopf geerbt, bei einem Mann würde man das rücksichtslos nennen. Doch um ehrlich zu sein, mit ihr und Smith, das war wirklich die ganz große Liebe! Und wenn ihr Bruder das herausgefunden hätte, dann hätte er sie wohl beide eher umgebracht, als Selina einfach gehen zu lassen. ‹Millie›, sagte sie zu mir, ‹ich muss meinem Herzen folgen, auch wenn ich seins dadurch breche.› Damit meinte sie ihren Bruder, nicht Sands, aus ihm hat sie sich nie viel gemacht. Und so kam es dann auch, ich meine, sie hat ihm damit das Herz gebrochen. Er hat ihr nie verziehen. Hat Jahre damit zugebracht, sie zu enterben, nicht nur was sein Vermögen anging, sondern auch das Treuhandvermögen ihrer Mutter. Habe nie wieder erlebt, dass ein Mensch so hassen kann, wie er Henry Smith gehasst hat. Mr Wainwright hat ein kleines Vermögen für Anwaltskosten ausgegeben, er wollte absolut sicher gehen, dass seine Schwester keinerlei Ansprüche auf das Familienvermögen geltend machen könnte. Und wissen Sie was? Es war ihr egal! Sie war hoffnungslos verliebt in den Mann, und das blieb auch so bis zu ihrem Tode.»
«Warum hat Alan Wainwright dann sein Testament zugunsten ihres Sohnes Alexander geändert? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn.» Cooper schien verwirrt.
«Das ist es ja! Das ergibt auch keinen Sinn. Was ich glaube, ist, dass er es nicht aus freien Stücken getan hat.»
«Wie bitte?»
«Ich meine, er muss irgendwie verwirrt gewesen sein.»
«Drück dich klar aus, Millie, wenn du es schon sagen musst. Sie haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.»
Millie rückte ihren Stuhl zurecht und goss jedem noch etwas Tee nach. Nun, da sie das Kind beim Namen nennen sollte, schien sie nicht so recht mit der Sprache herausrücken zu wollen.
«Zuerst flehte Selina ihren Bruder an, seinen Neffen nicht
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