Nachruf auf eine Rose
«Und er hat sich selbst umgebracht?»
«Vielleicht, doch im Moment müssen wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.»
«Also könnte ihn auch jemand umgebracht haben?» Sie ließ sich das Wort förmlich auf der Zunge zergehen, dann grinste sie verschlagen und sagte: «Gut, gut. Also haben wir noch einen verdächtigen Todesfall. Wer wird wohl dieses Mal der Glückspilz sein?»
«Sie meinen, wer erbt?»
«Ja. Wäre doch interessant, ob die da oben wieder dabei ist, hm?»
«Aber in diesem Fall wäre doch sicher Mr Wainwright-Smith der Begünstigte?»
«Was sein ist, ist auch ihrs, glauben Sie mir. Er kommt mir ohnehin wie ein Gast im eigenen Hause vor.»
«Wann ist er denn nun gestern aufgestanden?»
«Um zwölf habe ich ihm eine Tasse Tee raufgebracht, hab mir Sorgen gemacht, er hätte doch längst bei der Arbeit sein müssen. Sah ihm gar nicht ähnlich, so lange im Bett zu liegen. Ich musste ihn richtig wachrütteln und die Vorhänge aufziehen.»
«Und dann?»
«Dann bin ich wieder runter und hab Toast für ihn gemacht und frischen Kaffee gekocht. Kurz drauf ist sie dann wiedergekommen. Sie ist gleich unter die Dusche gegangen, hat sich umgezogen, und dann sind beide ins Büro gefahren.»
«Wie war Mrs Wainwright-Smith, als sie zurückkam?»
«Sie hatte es eilig, wie immer. Überrascht war sie, dass ihr Männe bei uns in der Küche saß.»
«Wir müssen mit Shirley sprechen, und es wäre gut, wenn Sie uns Ihre Adresse geben könnten, nur für den Fall.»
«Kein Problem.» Sie riss ein Stück Altpapier, das an einem Haken über dem Telefon hing, ab und schrieb die Angaben in säuberlichen Druckbuchstaben auf den Zettel.
Ein lautes Bimmeln ertönte, und sie sah auf das Klingelsystem an der Wand.
«Die Eingangstür. ’tschuldigung!»
Fenwick sah sich in der Küche um. Die Tür war mit einem dicken grünen Stoff gepolstert, und kein Laut drang herein. Wenn Irene und Shirley irgendwo im Haus beschäftigt gewesen waren, so hätte jederzeit jemand unbemerkt hereinkommen und das Obst und Gemüse dort abstellen können. Dennoch war es merkwürdig, die Sachen einfach bei der Tür, in der prallen Sonne, zu lassen. Es hätte doch keinerlei Mühe gekostet, die Einkäufe in die andere Zimmerhälfte in den Schatten zu tragen. Jemand hatte es da sehr eilig gehabt. Oder wollte auf keinen Fall gesehen werden.
Graham Wainwright war zwischen sechs Uhr morgens und zwölf Uhr mittags gestorben. Das waren sechs Stunden, für die weder Alex noch Sally Wainwright-Smith ein Alibi hatten.
Die Tür schwang auf und laute Stimmen drangen herein. Sergeant Cooper und das neue Team von der Spurensicherung waren gekommen. Fenwick hörte Irene und Cooper lachen und beschloss, Cooper die Befragung in der Küche zu Ende führen zu lassen. Constable Shah wartete schweigend in der Eingangshalle. Während Irene in der Küche frisches Teewasser aufsetzte, ging Fenwick durch die Vorratsräume und das Blumenzimmer in den großen Salon. Es war düster hier, und die Luft roch nach abgestandenem Brandy und kaltem Zigarrenrauch. Er zog die Vorhänge auf und öffnete ein Fenster.
Gleißendes Morgenlicht drang herein und fiel auf schwere, antike Mahagonitische, Fußbänke und ausladende Sofas für mindestens vier Personen. Und überall glänzte und funkelte es: vergoldete Kandelaber, vergoldete Wandleuchter und ringsum riesige vergoldete Wandspiegel. Während er über Perserteppiche in verblassten Farben und gebohnertes Parkett schritt, sah er in den Augenwinkeln sein Bild von Spiegel zu Spiegel wandern.
Vom Salon aus führte eine Tür in ein hübsches und behagliches Wohnzimmer, von dem aus er wieder in die Eingangshalle zurückkam. Gegenüber befand sich ein kleines Arbeitszimmer, in dem ein PC stand. Neben dem Computer lagen, säuberlich übereinander, ein Dutzend Haushaltsquittungen. Von dort aus gelangte man in die Bibliothek, in der Fenwick am Vorabend die Zeugenvernehmungen durchgeführt hatte.
Ein Buch lag auf dem Tisch, und Fenwick öffnete es an der Stelle, die mit einem Lesezeichen markiert war: «Rosen – Krankheiten und Schädlinge». Er hörte Schritte hinter sich, und als er sich umdrehte, sah er Alexander, der unrasiert, das Haar in alle Richtungen abstehend und nur mit einem Frotteebademantel bekleidet, den Raum betrat.
«Chief Inspector! Ich wusste nicht, dass Sie hier sind. Hat man Ihnen Kaffee angeboten?»
«Irene hat mich mit Tee und Keksen versorgt, vielen Dank.»
«Gut. Ich werde auch ein Tässchen trinken.
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