NachSchlag
Yonathan das Wort; seine Stimme durchschnitt die Stille, als ob eine silberne Klinge Samt zerteilte.
»Anna ist, auch wenn sie es dir nicht so oft oder deutlich genug sagt, äußerst zufrieden mit dir, Lea – sie hat eine Vorliebe für das Geschäft mit den dunklen, intensiven Seiten der Lust, und gerade darin bist du ja hervorragend. Du bist praktisch die einzige, die den BDSM-Bereich beim Telefonsex so gut abdecken kann. – Wie du sicher schon erraten hast, gehört es zu meinen Nebentätigkeiten, hier bei Sweet & Dirty ab und zu mal den Supervisor zu geben. Und was ich jedesmal spüre, wenn ich bei dir hineinhöre, Lea, das ist …« Er schwieg kurz, und seine Augen umwölkten sich verträumt, »deine enorme Hingabe. Wie ernst du deine Aufgabe nimmst, wie empathisch du dich in die – oft auch sehr schwierigen – Männer hineinfühlst, und wie leidenschaftlich gern du ihnen dienst … Das ist phantastisch. DU bist phantastisch.«
Ungläubig erst hatte Lea dieser ihre Seele streichelnden Rede gelauscht; beinahe hätte sie sie mit ein paar abwehrenden Worten entwertet, doch indem sie einen Moment zögerte, erkannte sie, dass er ihr Wesen recht genau beschrieben hatte, dass in der Essenz alles stimmte, was er beschrieb.
Sie nahm also seine Worte mit einem Lächeln an und sein Strahlen zeigte ihr, wie sehr ihm ihre Reaktion gefiel.
»Was machst du hauptberuflich?«, fragte sie ihn.
»Ich bin Musiker«, antwortete er heiter. »Nun, Musiklehrer. Ich bringe Kindern die Liebe zur Musik nahe.«
»Das finde ich großartig«, erklärte sie mit Nachdruck.
Beide nippten sie gleichzeitig an ihren Gläsern, und dann schob sich Yonathans große, hellhäutige Hand mit den langen, zartgliedrigen Fingern (es waren die Finger eines Klavierspielers) über Leas Hand, bedeckte sie.
Und mehr geschah an diesem Tag nicht.
Doch in dem Moment, als er ihre Hand auf diese sanfte Weise in Besitz nahm, fühlte sie den scharfen Stich des Hungers nach mehr.
Ein höchst erfolgreiches Quartal neigte sich für »Sweet & Dirty« dem Ende zu, und Anna ließ sich dazu hinreißen, einen kleinen Umtrunk für die besten Callerinnen und das sonstige Personal zu geben. Sogar die Putzfrauen wurden zu einem Gläschen Sekt eingeladen. Das kalte Buffet bot Lachshäppchen, Sushi und Garnelenspieße, denn die Chefin der Telefonsexfirma war strikte Pescetarierin. Alkohol trank sie sehr gerne und konnte ihn auch gut vertragen. Das einzige, was man ihr anmerkte war, dass ihr Lachen immer gurrender wurde und dass sie entschieden zu oft ihre dunkelbraune Wellenmähne zurückwarf. Das Lipgloss auf ihren dunkelrot geschminkten Lippen glitzerte. Anna war eine extrem attraktive, aber auch kalte Frau. Als Freundin schien sie zu Yonathan überhaupt nicht zu passen.
Er war der einzige, der an diesem Abend nicht auftauchte. Vergeblich hielt Lea nach ihm Ausschau. Immer wieder sah sie sich, wenn sie den Hals reckte oder sehnsüchtig seufzte, von Annas wissenden Blicken eingefangen. Der Sekt, obwohl eine sehr gute, teure Marke, schmeckte ihr nicht und sie stellte ihren Glaskelch angewidert beiseite.
Endlich winkte ihre Chefin sie zu sich.
»Ich kenne Yonathan schon seit vielen Jahren und ich mag ihn«, begann sie ohne Umschweife. »Er ist in mancherlei Hinsicht ein Genie … zum Beispiel in seiner Hinwendung zur Musik oder in der Art, wie er mit Kindern umgehen kann. Doch er hat auch Schwächen, nun ja …«, sie lachte kurz auf, »wie wir alle. Lea, bitte denke nicht, dass ich dir das nur erzähle, weil ich ein bisschen angeschickert bin – er hat‹s mir erlaubt, frag ihn ruhig. Er meinte sogar, Frauen bringen so etwas einfach besser rüber.« Sie machte eine Kunstpause. Ihre intensiv-metallic geschminkten Augen schienen Lea durchdringen zu wollen – und wieder fiel dieser auf, welche Kühle Anna ausstrahlte; die Frostigkeit einer Eisenskulptur, die man in einem Gletscher aufbewahrt hatte. »Yonathan hatte keine leichte Kindheit. Du wahrscheinlich auch nicht, Kleines …«
Lea zuckte zusammen. Sie konnte es nicht leiden, wenn jemand – und nun gar ihre Arbeitgeberin! – sie so nannte. »Er hat sich trotz widriger Umstände Selbstvertrauen erworben, hat sich mit bewundernswertem Fleiß selbst hochgekämpft, an sich gearbeitet – so dass man ihm sein körperliches Handicap eigentlich niemals anmerkt. Es sei denn, man ist vom Fach«, fuhr die professionelle und gleichfalls unterkühlte Stimme Annas fort. »Er hat eine angeborene Herzschwäche.«
Das
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