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Nachsuche

Nachsuche

Titel: Nachsuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kuhn Kuhn
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war sie jung. Sie lachte noch immer, sagte etwas, schaute ihn an. Seine Nachbarn waren verstummt. Als er nicht reagierte, beugte sie sich vor, strich ihm über den Arm. Dann winkte sie und ging. Der Beseler fühlte sich als ein anderer Mensch. In seinem Leben hatte es bisher keine Zärtlichkeit gegeben. Seine Eltern hatten ihre Kraft zum Überleben auf dem armseligen Hof gebraucht. Der Boden war karg gewesen, jede Ernte ein Kampf, den sie oft genug verloren. Sie hatten noch andere Kinder gehabt. Die waren ihnen weggestorben bis auf den Krüppel, der für nichts zu gebrauchen war. Dabei hat er noch Glück gehabt. Sie steckten ihn in die damalige Taubstummenschule für Lernbehinderte, wo er sein Leben lang blieb.
    Nachdem die Frau gegangen war, setzte er sich wieder. Das Geschnatter seiner Nachbarn begann von Neuem. Sie stießen ihn an, wollten sagen, wer sie sei, doch er verstand sie nicht. Da zog einer einen zerknitterten Zettel aus dem Hosensack und sie schrieben mühsam auf, was sie wussten. Die Frau hieß Mari und war Kellnerin im Löwen an der Turbenthalstrasse, gleich hinter dem Bichelsee.
    Von dem Moment an dachte der Beseler an nichts anderes mehr, als ob er es wagen sollte, in den Löwen zu gehen.
    Endlich stieg er in den Bus, hockte dann den halben Nachmittag bei einem Bier in der Gastwirtschaft, schaute zu, wie sie servierte. Wenn keine Gäste da waren, setzte sie sich zu ihm, und sie hatten es lustig miteinander. Der Beseler fragte nicht, warum. Mari erzählte ihm nicht, dass sie einen autistischen Bruder gehabt hatte, den sie sehr geliebt hatte und der dann schon mit zwanzig an einer geheimnisvollen Krankheit gestorben war. Damals war sie dreizehn gewesen. Jetzt war sie vierzig und glaubte, sie hätte den Bruder wie durch ein Wunder im Beseler wiedergefunden. So saß sie neben ihm, spielte mit dem Kugelschreiber, den er mit einem leeren Blatt Papier auf den Tisch gelegt hatte, und schwieg. Ab und zu schaute sie ihn an. Dann lächelte sie. Mehr wollte der Beseler gar nicht. Aber nachdem sie bei einem Gast abkassiert hatte, kam sie mit einem Spiel Karten zurück. Dem Beseler zerriss es das Gesicht zum Lachen. Wenn er eines konnte, dann Kartendreschen. Mari verlor haushoch, sie schlug die Hände zusammen.
    Von dir kann ich was lernen, schrieb sie auf das Papier.
    Es war der erste Satz, der darauf stand. Der Beseler war stolz wie selten in seinem Leben. Dann los, schrieb er zurück. Sie begannen ein neues Spiel. Er zeigte ihr ein paar Tricks. Sie lachte vergnügt wie ein kleines Kind. Später mussten sie aufhören, weil immer mehr Gäste kamen. Der Beseler ging und fuhr mit dem Bus zurück nach Turbenthal. Er fühlte sich ein wenig schwindlig.
    Als er das zweite Mal in den Löwen kam, war die Gaststube voll, ungewöhnlich für einen Wochentag. Eine Wandergruppe hatte hier haltgemacht. Mari rannte mit den Bierkrügen und Kaffischnaps-Gläsern. Sie winkte ihm kurz und deutete, er solle sich an den Tisch bei der Schank setzen. Der Beseler trank sein Bier. Erst genügte es ihm, ihr bei der Arbeit zuzusehen, doch dann empfand er eine bittere Enttäuschung. Ihm war klar, aus dem Kartenspiel würde diesmal nichts.
    Mari kam auf einen Augenblick, sie legte einen Zettel hin, darauf stand: Warte. Er wartete geduldig.
    Drei Motorradfahrer in schwarzer Montur polterten zur Tür herein. Sie schauten sich um. Alle Tische waren besetzt. Da drängten sie in die Ecke, wo der Beseler saß. Einer bellte etwas. Der Beseler schaute weg. Ein anderer riss ebenfalls den Mund auf. Der Beseler reagierte nicht. Da nahm ihn der Erste am Kragen hoch, stieß ihn vom Tisch weg. Der Beseler mit seinen schwachen Beinen fiel einfach auf den Boden. In dem Moment kam Mari aus der Küche und sah, was passiert war. Ihre Augen wurden schwarz. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. Der Beseler sah ihre Wut. Sie öffnete den Mund, schrie nur ein Wort. Er dachte, es hieße: hinaus. Die Rowdies standen noch kurz herum, um ihr Gesicht nicht zu verlieren, dann drückten sie sich aus dem Lokal. Die anderen Gäste klatschten und prosteten Mari zu. Aber geholfen hat ihr keiner, dachte der Beseler, er auch nicht, weil er nicht konnte. Er schämte sich für seine Schwäche, versuchte aufzustehen. Mari beugte sich über ihn, half ihm und führte ihn zurück an den Tisch. Als er wieder saß, küsste sie ihn auf die Stirn. Dann brachte sie ihm einen Schnaps.
    In einem Moment unerträglicher Klarheit ergriff der Beseler die Flucht. Er rührte den Schnaps nicht

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