Nachsuche
plötzlich Witterung auf und zieht Pauli ungestüm zur Böschung, hinter der sie den zitternden Beseler finden.
Pauli begegnet dem kleinen Alten häufig, wenn er mit dem Hund unterwegs ist. Seinen elf Jahren entsprechend nicht gerade gesellig, macht er beim Beseler eine Ausnahme. Erstens mag er den Alten, zweitens fasziniert ihn die Gebärdensprache. Er hat einmal ein Theaterstück über Gehörlose gesehen und ist in seiner Wissbegier sofort daran gegangen, sich diese Ausdrucksweise anzueignen. Auch der Beseler hat den Jungen gern, freut sich, dass er sich mit ihm verständigen kann. Wenn Gebärden nicht ausreicht, zückt Pauli einen kleinen Block, den er immer mitschleppt.
Jetzt erkundigt er sich besorgt, was passiert sei.
Der Beseler gebärdet, ein Auto hätte ihn beinahe totgefahren.
»Hat nicht gewusst, dass du ihn nicht hören kannst.«
»Doch, hat er gewusst.«
»Du kennst den Fahrer?«
»Schon gesehen.«
»Ein Fremder?«, fragt Pauli.
Der Beseler deutet: »Ja und nein.«
»Wo hast du ihn gesehen?«
»Hat mich einmal mitgenommen im Auto.«
»Auf den Schnurberg?«
»Nein.«
»Wo dann? Turbenthal?«
»Nein.«
So geht es weiter, bis Pauli die ganze Geschichte herausgefunden hat – mit gewissen Auslassungen, was Mari betrifft.
Bayj sitzt neben den beiden und schaut vom einen zum anderen.
»Und der Kerl ist wie ein Verrückter die Schnurbergstrasse hinauf gerast?«
Pauli deutet, doch dann schreibt er es zur Sicherheit auch noch auf.
Der Beseler nickt heftig.
»Du bist sicher, dass er es auf dich abgesehen hat?«
Das weiß der Beseler in Wahrheit nicht so genau, aber die Aufmerksamkeit des Jungen tut ihm gut. Also nickt er wieder, wenn auch weniger heftig.
Pauli schreibt: »Wann hat er dich mitgenommen?«
Der Beseler deutet mit den Fingern: »Am 10.11.«
»Wann am 10.11.?«
»Abends. Gegen neun. Letzter Bus aus Bichelsee schon weg.«
»Weißt du wie das Auto ausgesehen hat?«
Der Beseler nickt. Zeichnet einen Lieferwagen, schreibt ›weiß‹ dazu, notiert Aufschrift und Autonummer.
»Und derselbe Mann ist heute auf den Schnurberg gefahren?«, erkundigt sich Pauli, um ganz sicher zu gehen, dass er richtig verstanden hat.
Der Beseler nickt, deutet anderes Auto, heute Opel Astra, rot. Alles sehr schnell. Mann trotzdem erkannt, und er mich auch. Sehr erschrocken, gebärdet der Beseler und deutet auf sich. Er zittert noch bei der Erinnerung daran. Allerdings war es die Erinnerung an Mari, die ihn fast umgebracht hat. Die ganze Zeit über hat er sie wütend verdrängt. Sogar als sie einmal ins Gehörlosen-Dorf kam und nach ihm fragte, verkroch er sich im hintersten Winkel und ließ sich verleugnen. Danach ist sie nie mehr gekommen. Wozu auch, dachte der Beseler verbissen. Und dass er kein Mitleid braucht, schon gar keines von dieser Frau.
Der kommt zurück, will mich umbringen, gebärdet er jetzt, um sich von dem Gedanken an Mari abzulenken.
Die Geschichte überzeugt Pauli nicht ganz. Er weiß auch nicht, ob er alles richtig verstanden hat. Trotzdem sagt er zu Bayj, der ihn schon ungeduldig stupft, weil ihm langweilig ist: »Warte, Bayj. Wir bringen jetzt den Beseler zurück ins Dorf. Wir können ihn nicht allein lassen. Sonst passiert noch was. Wenn da wirklich ein Irrer unterwegs ist, der es auf ihn abgesehen hat.«
Dann begleiten Bayj und der Junge den Beseler fürsorglich zurück zum Gehörlosendorf. Dort fällt Pauli noch etwas ein.
»Beseler«, fragt er und sorgt dafür, dass der Mann von seinen Lippen lesen kann. »Hast du dir auch die Nummer von dem roten Auto gemerkt, mit dem er jetzt unterwegs ist?«
Der Beseler nickt heftig, streckt die Finger in der Reihenfolge der Zahlen hoch. Pauli kritzelt sie schnell auf seinen Block.
Er hält ihn dem Beseler zur Kontrolle hin.
Der nickt, dann zupft er ganz leicht den Jungen an der Jacke und lächelt zum Dank so himmlisch, wie nur der Beseler lächeln kann.
Pauli tätschelt ihm den Arm. Er und Bayj warten, bis der kleine Alte sicher im Haus ist.
»Du«, empfängt Pauli abends seinen Vater schon bei der Tür, »stell dir vor, Bayj und ich haben den Beseler getroffen.«
»Ja«, sagt Noldi mürrisch. Er ist nach den Ereignissen des Tages in denkbar schlechter Stimmung. Am liebsten wäre ihm, man würde ihn einfach in Ruhe lassen.
Als hätte Meret seine Gedanken gelesen, ruft sie in dem Moment aus der Küche, man könne essen.
Noldi hat sie nach der Standpauke vom Chef angerufen, und sie weiß, wie ihm zumute ist.
Er schiebt
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