Nachsuche
seinen Sohn vor sich her in die Stube.
»Komm«, brummt er, »lass deine Mutter nicht warten.«
Bei Tisch fängt Pauli sofort wieder an.
»Hör zu«, sagt er mit vollem Mund, obwohl er weiß, dass man das nicht tut, doch bei aller Aufregung ist er auch hungrig.
»Der Beseler hat am Abend vom 10.11. etwas gesehen.«
Auch Noldi kennt den Beseler. Diese Bekanntschaft beschränkt sich aber auf freundliches Nicken seinerseits und tiefe Bücklinge vom Beseler. Im Gegensatz zu Pauli kann Noldi die Gebärdensprache nicht. Hat er einmal mit jemandem aus dem Gehörlosendorf zu tun, kommt ein Übersetzer mit. Noldi traut den Wahrnehmungen des Beseler weit weniger als sein Sohn. Aber, denkt er, der Junge kann nichts dafür, dass heute alles schief gelaufen ist.
Er lässt sich von Pauli erzählen, was mit dem Beseler passiert ist.
Dann sagt er, nachdenklich geworden: »Vielleicht verkriecht sich der Kevin tatsächlich irgendwo im Wald. Die Frage ist nur, warum ausgerechnet auf dem Schnurberg. Wenn er nicht weitergefahren ist nach Schlatt oder ins Thurgau hinaus. Jedenfalls wäre das eine Spur. Wenn der Beseler sich nicht geirrt hat.«
»Hat er nicht«, beharrt Pauli heftig. »Vielleicht hat Kevin dort in der Gegend einen Bekannten.«
»Möglich«, räumt der Vater zweifelnd ein.
Meret, die den beiden schweigend zugehört hat, meldet sich plötzlich: »Ich kenne eine Lehrerin in Turbenthal. Ich rufe sie an, ob sie sich an einen Schüler erinnert, der Pfähler heißt.«
»Nein!«, schreit Pauli aufgeregt, »frag den Onkel Hans. Er jagt auf dem Ramsberg. Der kennt dort oben jeden.«
»Richtig«, stimmt Noldi seinem Sohn zu. Er zückt sein Handy und ruft sofort den Schwager an.
Hans und Betti sind ebenfalls gerade beim Essen.
»War eine tolle Leistung«, sagt Hablützel mit vollem Mund statt einer Begrüßung zu seinem Schwager.
»Was meinst du?«, stellt sich Noldi dumm.
»Na, euer Festival auf der Tösstalstra ß e.«
Ohne auf den Spott einzugehen, knurrt Noldi: »Sagt dir der Name Pfähler etwas?«
Nach nur kurzem Nachdenken erwidert Hans: »Nein, Pfähler hat es da in der Gegend meines Wissens nie einen gegeben.«
»Schnurberg, Neugrüt, nirgends«, drängt Noldi. »Irgendetwas muss da sein.«
»Pfähler, nein, einen Pfähler gibt es hier nirgendwo. Das wüsste ich. Vielleicht weiter drüben im Thurgau«, sagt Hans. »Aber frag zur Sicherheit den Weideli, den Notar in Turbenthal. Wenn einer etwas weiß, dann der. Du hast seine Nummer?«
»Klar«, sagt Noldi. »Und, danke, mach’ ich.«
Mit dem Notar Weideli hatten die Oberholzers schon kanzleit, als sie das Haus in Rikon gekauft haben. Das geht im Tösstal gar nicht anders. Man bleibt gern unter sich. Hier, wo fast alle miteinander verwandt, verschwägert, Nachbarn sind oder gemeinsam die Schulbank gedrückt haben, hält man zusammen, selbst wenn man zerstritten ist. Fast wie bei der Mafia, denkt Noldi.
Er fährt am nächsten Morgen als Erstes beim Notar Weideli vorbei.
Kaum bei der Tür herein, fragt er: »Du, hast du eine Minute Zeit?«
»Für dich doch immer, Noldi«, röhrt Weideli, »womit kann ich dir dienen?«
»Sagt dir per Zufall der Name Pfähler etwas?«
»Geht es um deine nackte Dame im Wald?«
»Schrei nicht so!«, schnauzt Noldi.
»Nur keine Aufregung. Was denkst du? Wir sind alle im Bild. Betti Hablützel hat schon am Morgen, als ihr die Leiche gefunden habt, alles ausposaunt. Im Fitnessstudio.«
Noldi ärgert sich. Das ist die Kehrseite der eingeschworenen Gesellschaft, denkt er. Es gibt keine Geheimnisse. Auf irgendeine Weise wissen alle immer alles.
»Also, was ist? Kennst du einen Pfähler?«
»Du weißt, dass ich dir nichts sagen darf.«
»Geschenkt«, antwortet Noldi gereizt.
Weideli lacht. »Aber es bleibt unter uns.«
»Bestimmt«, sagt Noldi.
»Also hör zu, der alte Gubler hat sein Haus im Neugrüt seinem unehelichen Sohn vermacht, und das ist, das ist«, sagt der Notar genüsslich und macht eine Kunstpause.
»Weideli«, knurrt Noldi, »mach es nicht so spannend.«
Jetzt, wo er so nahe an einem Erfolg ist, wird er ganz kribblig.
»Ein gewisser Kevin Pfähler«, sagt der Notar.
»Das kann nicht wahr sein.«
Noldi schreit fast.
»Oh, doch. Wenn du einen Moment Geduld hast, schaue ich nach, wo der wohnt.«
»Nicht nötig«, antwortet Noldi. »Ich weiß es, in Sirnach.«
»Genau.«
»Und der alte Gubler war sein Vater?«
»Scheint so. Zumindest hat er das geglaubt. Wenn du mich fragst, ich bin da nicht so
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