Nachsuche
Weesen.«
Als Noldi abends die Haustür öffnet, kommt Meret ihm entgegen. Sie küsst ihn und fragt: »Wie ist es gelaufen?«
»Gut«, sagt Noldi, »gut. Heute war ein super Tag. Alles hat geklappt. Der Gemeindeschreiber von Brütten hat sich an den Namen des Arztes erinnert. Der ist mit mir dann nach Zürich gefahren und hat die Tote identifiziert. Es ist wirklich diese Frau aus Weesen. Die mit dem Buddha, den Pauli gefunden hat.«
Da fällt ihm etwas ein.
»Sag, mein Herz«, wendet er sich an Meret, »kommt dir der Name Niederöst bekannt vor?«
»Ja«, antwortet seine Frau prompt, »in Fitzis Klasse gibt es ein Mädchen, das so heißt. Du kannst deine Tochter beim Abendessen fragen. Jetzt lässt du sie besser in Ruhe. Sie schaut mit Pauli seine Hausaufgaben durch. Er tut sich mit ihr leichter als mit mir.«
»Das wundert mich nicht, Frau Lehrerin«, sagt Noldi. »Ich würde mich auch fürchten.«
»Mit Recht, mit Recht!«, schreit Meret und rennt in die Küche, weil es plötzlich angebrannt riecht.
Rüdisühli fährt wieder einmal der Schreck in alle Glieder, als er die fremde Nummer auf seinem Handy sieht, das er ausschließlich für die Freundin verwendet. Jetzt ist etwas gar nicht mehr gut, denkt er. Kurz entschlossen entsorgt er das Telefon, wie er schon vorher zwei entsorgt hat. Dieses wirft er in die Töss bei Winterthur. Er weiß, der Fluss ist an dieser Stelle tückisch. Immer wieder hört man, dass dort Leute ertrinken. Hätte er das Handy nur schon früher weggeworfen, denkt er voll Reue, gleich damals, nachdem er mit Berti Schluss gemacht hat. Da wäre ihm seine Sparsamkeit beinahe zum Verhängnis geworden. Aber, beruhigt er sich, noch ist nichts passiert. Natürlich weiß er, dass man ihn als Besitzer ausfindig machen kann. Was man ihm jedoch nicht nachweisen kann, ist, ob er das Handy nicht längst verloren hat oder es ihm gestohlen wurde. Das wird er sagen, wenn ihn einer fragt. In Winterthur kauft er sich ein neues Gerät. Dann ruft er Ilse an.
»Du«, sagt er, »ich habe mein Handy verloren und gleich ein neues gekauft. Deinetwegen. Damit du mich jederzeit erreichen kannst. Schreib dir meine neue Nummer auf.«
Er hat das Gefühl, in diesen schwierigen Zeiten, solange sie nicht herausgefunden haben, was mit Berti passiert ist, lässt er ihre Freundin, Ilse, mit der er jetzt ein Verhältnis hat, besser nicht aus den Augen. Sonst macht sie womöglich noch Dummheiten.
Doch die hat sie bereits gemacht.
Ilse Biber ist ein uneheliches Kind, das bei der Mutter in anständigen Verhältnissen aufwuchs. Die Frau war finanziell nicht schlecht gestellt. Sie arbeitete als Chefsekretärin in einem großen Bauunternehmen. Über Ilses Vater weiß man nichts. Die Mutter hielt Ilse nie kurz, sondern ließ ihr stets viel Freiheit, weil ihr Beruf sie stark in Anspruch nahm. Ilse selbst war ein vernünftiges Mädchen, das seiner Mutter keinen Ärger bereitete und die gewährte Freiheit nie missbrauchte. Nach dem Schulabschluss trat sie in ein Spital ein und wurde zur Krankenschwester ausgebildet. Sie erhielt gute Noten, bewarb sich anschließend erfolgreich um eine Stelle am Universitätsspital Zürich. Beflissen mühte sie sich um die Weiterbildung zur Operationsschwester. Allerdings konnte sie nach Abschluss der Prüfungen im Universitätsspital keine entsprechende Anstellung finden. Sie fühlte sich ungerecht behandelt, versuchte dennoch ihre Stellung zu verbessern, indem sie weiterhin außerberuflich alle möglichen Kurse besuchte. Bei ihrem Ehrgeiz blieb wenig Zeit für private Beziehungen. Ihr Traum war ein Arzt in gehobener Position als Ehemann. Als sie mit fünfunddreißig dieses Ziel noch immer nicht erreicht hatte, wurde sie depressiv, was sie im Berufsleben so gut wie möglich verbarg. Dann verliebte sie sich in einen Patienten, einen Asylbewerber aus Ghana. Sie stand ihm mit Rat und Tat bei, half ihm, wo sie konnte. Als er keine Aufenthaltserlaubnis erhielt, war sie sogar bereit, ihn zu heiraten, damit er in der Schweiz bleiben konnte. Sie verlobten sich ganz offiziell, und sobald er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, nistete er sich bei ihr ein. Der Hochzeitstermin stand bereits fest, als sie ihren Irrtum erkannte. Sie zog die Notbremse, eröffnete ihm, sie könne ihn nicht heiraten. Der Mann war wie vor den Kopf gestoßen. Erst sagte er lachend: »So leicht wirst du mich nicht los.« Da sie jedoch auf ihrer Weigerung beharrte, reagierte er mit Aggression. In ihrer Panik bot sie ihm Geld.
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