Nachsuche
war, mit dem sie telefoniert hat, verschweigt er vorläufig.
»Sie ist ermordet worden«, sagt er stattdessen.
Jetzt lässt die Frau die Hand ihres Mannes los, springt von ihrem Sitz hoch, macht einen Schritt und bricht zusammen. Noldi kann sie gerade noch auffangen, bevor sie zu Boden geht. Er bettet sie in den Lehnstuhl neben Kläui, der während der ganzen Szene nicht mit der Wimper zuckt, obwohl seine Augen geöffnet sind.
Noldi bringt ihr ein Glas Wasser, fragt, ob er die Schwester rufen soll.
»Nein«, sagt sie.
Sie erholt sich erstaunlich schnell. Während sie sich mit dem Handrücken einen Tropfen Wasser von der Oberlippe wischt, fragt sie: »Berti ist ermordet worden?« Ihre Stimme schwankt nur leicht dabei.
»Hat Ihr Mann Ihnen das nicht gesagt?«
Sie zögert einen Augenblick. »Nein«, sagt sie dann langsam. Wieder schaut sie Noldi gerade in die Augen.
»Ich kann nicht glauben, dass er mir das verschwiegen hätte. Haben Sie ihm das so direkt gesagt?«
Noldi überlegt sich die Antwort. »Ich habe ihm gesagt, sie ist an einer Überdosis Insulin gestorben«, erklärt er schließlich.
Die Frau atmet sichtlich auf.
»Das heißt wirklich nicht, dass sie ermordet wurde.«
»Nein, das heißt es nicht. Aber wie sie gefunden wurde, lässt kaum einen anderen Schluss zu.«
»Wie hat man sie gefunden?«, fragt Frau Kläui.
»Im Wald, halb nackt.«
»Da hat mein Mann etwas nicht richtig verstanden.«
»Wo war er am Dienstag vor zwei Wochen?«, fragt Noldi.
»Oh, mein Gott!«, sagt sie und schlägt die Hand vor den Mund.
Er hat Angst, dass sie noch einmal umkippt. Zum Glück, sagt er sich, sitzt sie, so kann sie wenigstens nicht mehr fallen.
Aber sie bleibt ganz ruhig.
»Ist schon eine Weile her. Da müssen Sie mich nachdenken lassen.«
»Klar.«
Bei sich überlegt er, dass ein Alibi von der Ehefrau nicht viel wert ist. Die würde alles sagen, um ihren Mann zu decken. Er kann vermutlich im Notariat herausfinden, ob Kläui zu der Zeit einen Termin hatte.
Während die Frau, wie es scheint, intensiv nachdenkt, wendet Noldi seine Aufmerksamkeit dem Kranken zu. Doch an dem ist keine Veränderung festzustellen.
Da meldet sie sich wieder.
»Sie glauben aber nicht, dass mein Mann irgendetwas damit zu tun hat?«
»Das ist mein Job, es herauszufinden«, erklärt Noldi vollmundig.
»Ja, verstehe«, erwidert sie.
»Also, wenn Sie mir sagen können, wo er Dienstag, den 10.11. war, sind wir vielleicht ein Stück weiter. Erinnern Sie sich, ob er den ganzen Tag in seinem Büro war? Und wo war er abends?«
»Dienstag besucht uns gewöhnlich unsere Tochter mit den Kindern. Da kommt er zum Mittagessen nach Hause. Und abends waren wir im Konzert, Beethoven. Aber an den Dirigenten kann ich mich nicht erinnern. Ist das schlimm?«
»Nein, nein«, versichert Noldi.
Er ist froh, dass es sich um eine öffentliche Veranstaltung handelt. So kann er leicht kontrollieren, ob die Kläuis dort waren. Der Notar ist in Winterthur kein Unbekannter. Irgendjemand wird ihn gesehen haben.
Wieder wandert seine Aufmerksamkeit zu dem Patienten. Ob der Mann Theater spielt? Er wirkt vollkommen normal. Kann man Ärzten so etwas vorspielen? Er würde sich ihn gern einmal vornehmen. Ohne die Frau.
Er sagt: »Sie sitzen sicher schon lange hier. Wollen Sie nicht einen Kaffee trinken? Ich bleibe so lange bei Ihrem Mann.«
Sie schaut ihn unsicher und zugleich erleichtert an. Noch bevor er sein Angebot wiederholen kann, ist sie bei der Türe, ein wenig wackelig, doch das Lächeln, mit dem sie sich bei ihm bedankt, ist warm und gewinnend.
»Ich beeile mich«, sagt sie. »Ich kann es wirklich brauchen. Ist wohl alles ein bisschen viel auf einmal.«
Das ist es auch für ihn, denkt Noldi, während er sich zu Kläui ans Bett setzt. Er spricht ihn an, fragt ihn nach seinem Befinden, wartet vergebens auf irgendetwas. Dann versucht er es mit einem Witz, wiehert selbst vor Lachen und beobachtet dabei genau die Reaktion des anderen. Doch es gibt keine. Kläui hält die Augen offen, blinzelt, räuspert sich, einmal hustet er sogar.
Noldi kann nicht glauben, dass er ihm absolut nichts entlocken kann, keinen Schimmer des Verstehens in den Augen, kein Zucken um den Mund. Er probiert alle Tricks, die ihm einfallen, schneidet Gesichter, legt ihm die Hand auf die Schulter, zieht ihn, in einem unbedachten Moment, sogar an der Nase.
Nichts. Kläui bleibt unerreichbar.
Schließlich gibt Noldi auf. Er sitzt entnervt da, bis die Frau zurückkehrt. Dann
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