Nachsuche
obwohl etwas gefällt mir nicht an ihm.«
»Was?«, erkundigt er sich.
»Ich weiß nicht. Offen ist er nicht.«
»Nein«, stimmt Noldi ihr zu. »Er weiß etwas, das er nicht sagt. Aber warum, wenn er es nicht war?«
»Es hat mit der toten Frau zu tun, aber vielleicht anders«, mutmasst Meret.
»Du meinst, nicht mit dem Mord an ihr.«
»Ja, so ungefähr.«
»Frau Oberholzer, das ist ein leuchtendes Beispiel für eine klare Aussage.«
Meret seufzt.
»Wenn ich es nicht besser ausdrücken kann. Überlege einmal, was könnte da infrage kommen? Betrug, eine falsche Diagnose, ein Behandlungsfehler, irgendetwas Finanzielles?«
Noldi und der Doktor setzen am nächsten Tag ihr Gespräch ohne Umschweife fort.
Niederöst beginnt: »Ich muss Sie enttäuschen. Ich habe Bertis Krankengeschichte, soweit sie mir vorliegt, durchgeschaut. Weder meinem Vater, der den alten Walter jahrelang betreut hat, noch mir selbst ist jemals auch nur der Verdacht gekommen, er könnte seiner Tochter zu nahe getreten sein.«
»Auch nicht misshandelt«, wirft Noldi ein.
»Auch das nicht«, sagt Niederöst. »Wenn Sie mich fragen, er war einfach zu krank.«
»Was hat ihm eigentlich gefehlt?«, fragt Noldi.
»Er hatte MS in einer besonders unberechenbaren Form. Mit der Praxis habe ich ihn als Patienten von meinem Vater übernommen. Da war er schon geschrumpft, in den Hüften geknickt, die Wirbelsäule verschoben, gut einen Kopf kleiner als vorher. Er konnte sich nur mehr mühsam auf Krücken fortbewegen. Jede Ortsveränderung, sogar im Haus, war ein Drama, Treppensteigen unmöglich. Aber er weigerte sich bis zuletzt, einen Rollstuhl zu benützen. Und er wurde bösartig. Am Schluss war er total dement, aber immer noch giftig wie eine Natter. Dass Berti ihn so lange ertragen hat, grenzt an ein Wunder. Wenn man sie gefragt hat, meinte sie mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck, edel bin ich, hilfreich, aber nicht immer gut.«
»Jemand hat nach ihrem Tod in der Wohnung aufgeräumt, das ist sicher«, sagt Noldi langsam. »Daher ist es schwer, abzuschätzen, was vorher vorhanden war. Jedenfalls konnte ich weder Fotoalben, Briefe noch Erinnerungsstücke finden.«
»Das schaut ihr ähnlich«, meint Niederöst. »Ich glaube, der Hausverkauf und der Umzug nach Weesen sollten ein radikaler Neuanfang sein.«
Für einen Moment schweigen sie beide.
Dann sagt Noldi: »Die Freundin hat behauptet, Berti sei rachsüchtig gewesen. Haben Sie jemals etwas davon bemerkt?«
»Rachsüchtig«, wiederholt Niederöst nachdenklich. »Ich weiß nicht. Warum fragen Sie?«
»So etwas kommt nicht von ungefähr. Also drängt sich die Frage auf, hat ihr irgendjemand etwas so Schlimmes angetan, dass sie es allen heimzahlen musste? Und von da bis zur Frage nach einem Missbrauch ist es nicht weit. Oder war die Behauptung der Freundin nur üble Nachrede?«
»Ich würde es so formulieren. Berti war nicht dumm und sie war darüber hinaus äußerst geschäftstüchtig. Sie wissen, dass sie von einem Teil ihres Erbes in Weesen einen Coiffeursalon gekauft hat. In persönlichen Dingen hat sie sich aber nie damit aufgehalten, mögliche Konsequenzen zu überdenken. Zudem konnte sie sehr stur sein, egal, was sie damit anrichtete.«
»Hatte sie viele Männerbekanntschaften?«, fragt Noldi.
»Ich weiß es nicht. Sie hat viel über Männer geredet, aber ich denke, das war es auch schon.«
»Kennen Sie den Notar Kläui?«, fragt Noldi weiter.
»Ja«, antwortet Niederöst. »Allerdings nicht näher als Winterthurer sich in Winterthur kennen. Sozusagen zwangsläufig. Er hat den Hausverkauf für Berti abgewickelt.«
»Er hat mir gegenüber zugegeben, jahrelang ein Verhältnis mit ihr gehabt zu haben.«
»Ja, da gab es einmal ein Gerücht. Ich habe es nicht geglaubt, weil die Kläuis ein so offensichtlich zufriedenes Paar waren. Und noch sind.«
»Was ist eigentlich ein Wachkoma?«, will Noldi jetzt wissen. Er denkt sich, wenn er schon einen Fachmann vor sich hat, kann er die Gelegenheit ebenso gut nützen.
»Ich kann Ihren Gedankensprüngen nicht folgen«, sagt Niederöst verdutzt.
»Göpf Kläui hatte einen Autounfall und liegt seitdem im Wachkoma. Haben Sie nichts davon gehört?«
»Nein«, sagt Niederöst betroffen. »Ist er schwer verletzt?«
»So gut wie gar nicht«, erwidert Noldi heftig. »Das ist es ja. Er ist in eine Mauer gefahren, aber es ist ihm nicht viel passiert. Jetzt liegt er im Wachkoma, und die Ärzte im Krankenhaus meinen, er würde nicht wieder.
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