Nachsuche
Blechparadies ankommen, entwickelt sich alles viel einfacher, als sogar Noldi erwartet hat. Kevin Pfähler freut sich ganz offensichtlich über den Besuch.
»Ich bin Kevin«, sagt er und streckt dem Jungen die Hand entgegen. Dann wendet er sich an Noldi: »Herr Inspektor, Sie kommen sicher wegen Berti. Ich habe Ihnen schon gesagt, da müssen Sie mit meiner Frau reden.«
Er ruft nach Corinna, und sobald sie erschienen ist, verschwindet er mit Pauli, dem er verspricht, ihm ein tolles Auto zu zeigen.
Noldi geht mit Corinna ins Büro und legt die ominösen Scans vor sie hin.
»Wo haben Sie die her?«, fragt sie erstaunt.
»Bei Berti in der Wohnung gefunden. Sie hat sie versteckt.«
»Versteckt«, wiederholt Corinna, und Noldi glaubt in ihren Augen eine Spur von Angst zu entdecken.
»Das verstehe ich nicht«, sagt sie langsam, »wozu hat sie das Zeug aufgehoben?«
»Ich denke«, meint Noldi langsam, »das können Sie mir erklären.«
»Haben Sie die Bilder angesehen?«, fragt Corinna.
»Ja«, sagt er.
Corinna und Berti lagen im Kantonsspital Zürich im selben Zimmer. So lernten sie einander kennen. Berti war für ein paar Tage eingewiesen worden, weil ihre Zuckerwerte verrückt spielten. Corinna hatte Fieberschübe, von denen die Ärzte nicht herausfinden konnten, woher sie stammten. Sie jagten Corinna durch das gesamte Untersuchungsprogramm und fanden nichts. Nur dass sie mit jedem Anfall schwächer wurde. Kevin hing Tag für Tag an ihrem Bett, doch sie ertrug ihn nur schwer. Er war vor Angst um sie völlig kopflos. Berti dagegen erwies sich als angenehme Zimmernachbarin. Sie hatte etwas Freundliches, fast Zärtliches an sich, das Corinna nur manchmal als ein wenig zu süß empfand.
»Ich erinnere mich nicht«, sagt Corinna zu Noldi, »dass sie Besuch bekam. Außer einmal, da kam ihr Arzt. Mit ihm war sie sehr vertraut.«
»Wie ein Liebespaar?«, fragt Noldi. Er hält fast den Atem an dabei.
»Nein, nicht so«, antwortet Corinna. »Aber sie kannten einander. Kein Wunder, fügt sie hinzu, wenn er ihr Hausarzt war und sie von Jugend an immer zum Doktor musste.«
»Wissen Sie noch, wie er hieß?«
»Nein, keine Ahnung.«
Als aber Noldi den Namen Henrik Niederöst nennt, fällt Corinna lebhaft ein: »Ja, das ist er. Bestimmt. Berti nannte ihn Henrik. Dann hatte sie noch eine Freundin. Die war Krankenschwester auf einer anderen Station. Mit ihr traf sie sich in der Cafeteria.«
»Und wie kommt Berti zu Ihren Unterlagen?«, fragt Noldi, als sie verstummt.
»Sie wissen, was darauf zu sehen ist?«
»Ja«, sagt Noldi nur.
Corinna schaut ihn gerade an. »Sehen Sie, mein Mann weiß davon nichts. Er darf es nicht wissen. Er könnte mir nicht mehr vertrauen. Und sich selbst noch weniger. Das erträgt er nicht.«
Noldi hat das Warum schon auf der Zunge, spricht es aber nicht aus, weil ihm schlagartig klar wird, wie recht sie hat. Er sieht Kevin Pfähler vor sich, rotbackig, freundlich, fröhlich und zugleich sehr männlich.
Corinna beginnt wieder zu erzählen.
Nach einer Woche war das Fieber weg, ohne dass die Ärzte eine Ursache gefunden hätten. Da sie ihr Antibiotika gegeben und diese ihre Wirkung getan hatten, verständigten sie sich darauf, dass es eine bakterielle Infektion gewesen sei.
Corinna durfte nach Hause. Kevin kam sie abholen. Während sie ihre Sachen einsammelte, entdeckte er das Kuvert mit ihren Befunden. Er wollte hineinschauen. Corinna fuhr es siedend heiß durch und durch. Das gehört Frau Walter, sagte sie und ließ sich fallen. Kevin vergaß das Kuvert. Er und Berti stürzten zu ihr, hoben sie auf das Bett. Berti rannte um Wasser, Kevin hielt verwirrt ihre Hand.
Corinna wartete noch ein paar Augenblicke, dann schlug sie die Augen auf und sagte mit schwacher Stimme: »Was ist los?«
Als sie Kevins Gesicht sah, musste sie lachen.
»Nein«, sagte sie, »ich bin noch nicht hinüber. Aber wir sollten verschwinden, bevor sie auf die Idee kommen, mich noch länger zu behalten.«
Kevin war das nur recht. Kaum, dass er ihr Zeit ließ, sich von Berti zu verabschieden. Sie rief ihr schnell von der Türe zu: »Ich melde mich.« Das Kuvert mit dem Befund war vergessen.
Berti verließ das Krankenhaus am nächsten Tag allein. Rüdisühli dachte nicht im Traum daran, seine Geliebte abzuholen, obwohl sie ihm ein SMS geschickt hatte, in der sie ihm mitteilte, wann sie entlassen würde. Immerhin besuchte er sie noch am selben Nachmittag. Dass er gleich kommen würde, hatte sie kaum zu hoffen gewagt.
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