Nachsuche
merkt, sie fühlt sich geschmeichelt.
»Ach«, erwidert sie. »Das ist nichts. Mein Vater hätte gern, dass ich Ärztin werde und die Praxis übernehme wie er seiner Zeit von seinem Vater. Deshalb bringt er mir schon jetzt so viel wie möglich bei. Aber ich möchte lieber Schauspielerin werden.«
»Ah«, macht Noldi beeindruckt.
Im Stillen dankt er ihr für den Tipp und taucht am nächsten Morgen sofort bei ihrem Vater in der Praxis auf.
»Tut mir leid, wenn ich schon wieder störe«, fängt er an.
Niederöst winkt ab.
»Ich wollte Sie bereits anrufen und fragen, wie es steht.«
»Ich weiß nicht«, sagt Noldi. »Aber da gibt es etwas, wofür ich Ihre Hilfe brauche.«
Er legt die Aufnahme von Corinna vor den Doktor auf den Tisch.
Niederöst studiert sie gründlich und fragt dann: »Woher haben Sie die?«
»Bei Berti in der Wohnung gefunden«, antwortet Noldi wahrheitsgemäß.
»Die ist aber nicht von ihr«, meldet der Doktor.
»Ich weiß«, antwortet Noldi. »Aber sagen Sie mir nur eines: Mann oder Frau?«
Der Doktor zieht die Augenbrauen hoch. »Sonst nichts?«
»Nein, außer es gibt etwas Besonderes.«
»Mann«, sagt Niederöst, »eindeutig, gesundes Exemplar, noch jung.«
»Auf der Aufnahme steht der Name einer Frau. Kann es sich um eine Verwechslung handeln?«, fragt Noldi.
»Kaum«, sagt Niederöst. »Ich persönlich habe vom Kantonsspital in Zürich noch nie falsche Angaben erhalten.«
»Wie erklären Sie sich die Sache dann?«, bohrt Noldi weiter.
Niederöst schaut ihn eine Weile an.
»Schließen wir eine Verwechslung aus?«, fragt er.
»Gut, schließen wir sie aus«, stimmt Noldi zu.
»Dann gibt es nur eine Erklärung. Die Frau ist eigentlich ein Mann.«
Noldi setzt sich.
»Brauchen Sie einen Schnaps?«, fragt Niederöst lachend. »Ich habe immer eine Notfallration parat.«
»Danke, ich trinke nie im Dienst.«
»Auch nicht auf ärztliche Verschreibung?«, bietet ihm der Doktor mit Verschwörerlächeln an.
Jetzt lacht auch Noldi.
»Nein, danke«, wiederholt er. »Das ist nicht notwendig. Es handelt sich nicht um meine Frau. Aber im Ernst, ich bin neben dieser, dieser Person gesessen, habe mit ihr geredet. Da war nichts. Aber schon gar nichts.«
»Ich weiß«, nickt Niederöst. »Da ist auch nichts, selbst wenn Sie ihr noch sehr viel näher gekommen wären.«
»Man merkt gar nichts?«, fragt Noldi noch einmal ungläubig.
»Nein, nichts. Nur bei einer Computertomografie. Und natürlich im DNA-Test. Sie besitzt weder Gebärmutter noch Eierstöcke. Sie blutet natürlich auch nicht und bildet kein weibliches Sekret. Möglicherweise ist ihre Stimme verhältnismäßig tief und sie hat für eine Frau zu große Hände.«
Noldi schweigt eine Weile. Er muss das Gehörte verdauen, bevor er sich über die Konsequenzen den Kopf zerbrechen kann. Nicht, dass er nicht schon von Geschlechtsumwandlung gehört hätte. Aber es hat ihn nicht sonderlich interessiert. Er hat gedacht, das sei eine Seltenheit, eher so etwas wie ein Kalb mit zwei Köpfen. Das gibt es auch, aber man begegnet ihm nie.
»Sie ist eine schöne Frau«, sagt er dann eher hilflos, »eine verdammt schöne Frau.«
Niederöst nickt versonnen. »Ja, oft sind sie schöner als normale Frauen. Und besonders weiblich.«
Diesmal nimmt Noldi seinen Jüngsten mit zum Ehepaar Pfähler. Er ist sicher, da kann nicht viel schief gehen, und er hat einen Hintergedanken. Auf diese Weise kann er Pfähler fotografieren, ohne dass es auffällt. Außerdem ist es ihm lieber, unter vier Augen mit Corinna über die Computer-Scans zu reden.
Pauli ist begeistert von der Aussicht, dem Vater bei den Ermittlungen zu helfen, und fragt ihm während der Fahrt nach Sirnach Löcher in den Bauch. Wie er sich verhalten, worauf er besonders achten solle.
Noldi überlegt, bevor er antwortet. Die Frage hat er sich selbst während seiner Laufbahn als Polizist unzählige Male gestellt.
»Eigentlich«, sagt er vorsichtig, »musst du immer auf alles achten.«
»Das geht doch nicht.«
Pauli tönt fast verdrossen.
»Vermutlich nicht«, stimmt sein Vater zu. »Aber eine bessere Antwort kann ich dir nicht geben. In der Praxis ist dann alles anders. Bei manchen Fällen bist du wach, siehst alles, und bei anderen tappst du wie ein Blinder herum und merkst gar nichts. Das ist so. Ich kann dir nicht sagen, wovon es abhängt, ob ein Fall so ist oder anders. Aber wenn du einfach die Augen offen hältst, ist es schon sehr gut.«
»Ja«, sagt Pauli zweifelnd.
Als sie im
Weitere Kostenlose Bücher