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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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Boden, schlage mit den Knien auf dem Linoleum auf.
    Evan sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an. Würgt den letzten Ton seiner Gitarre ab. Die Verstärker stoßen ein Röcheln aus, das in den Ohren schmerzt.
    »Alma?«, flüstert er. »Was zum Teufel machst du hier?«
    Ich weiß es nicht.
    Ich weiß es nicht!
    Ich sehe mich um und merke, dass außer uns niemand hier ist. Nur Evan, der Gitarre gespielt hat. Und ich, die ich bis vor einer Sekunde noch eine Eisenstange in der Hand hielt und darauf brannte, ihn zu erschlagen.
    Kein Mörder weit und breit.
    Was war mit mir los?
    Ich versetze der Stange einen Stoß mit der Hand, so dass sie sich um sich selbst dreht und mit metallischem Kratzen davonschlittert. Die Verstärker geben ein erschöpftes Brummen von sich. Evan starrt mich immer noch an. Will vom Sofa aufstehen.
    »Nein!«, schreie ich wieder.
    Noch bevor er etwas sagen kann, rappele ich mich auf und laufe weg, so schnell ich kann.
    »Alma!«, ruft er mir nach. »Alma!«
    Mit Tränen in den Augen renne ich aus der Halle.
    Ich.
    Ich erreiche den Roller und steige auf. Meine Wangen und meine Lungen brennen.
    Ich.
    Ich drehe das Gas auf und fliege davon, nur weg von hier, weg von allen, irgendwohin, wo ich niemandem schaden kann.
    Was war mit mir los?
    Was ging in mir vor?
    Wessen Stimme hat in meinem Kopf gesprochen?
    Ich brülle und fluche. Schlage mir mit der freien Hand ins Gesicht. Ich möchte mir weh tun, mir die Augen auskratzen. Ziellos rase ich dahin, wünsche mir, dass jemand mich überfährt, mich für immer hinwegfegt. Der Schmerz in meinem Kopf explodiert. Die Straßen der Stadt wirbeln um mich herum, und alles scheint weit weg zu sein. Ich spüre, dass ich nicht mehr zu dieser Welt gehöre, der Welt der normalen Menschen.
    Plötzlich wird der Roller langsamer. Aus dem Auspuff kommt nur noch ein immer schwächer werdendes Fauchen. Der Motor zuckt noch einmal und säuft ab. Das Benzin ist alle. Es geht nicht weiter. Ich lasse den Roller fallen wie ein Tiergerippe.
    Den Kopf zwischen den Händen, setze ich mich auf die Bordsteinkante und frage mich, was ich tun soll. Dann sehe ich den kalten Lichtschein einer Telefonzelle. Ich suche nach dem kleinen Papierdrachen in meiner Jackentasche.
    Morgans Nummer auf dem Schwanz ist fast völlig verwischt.
    Mühsam ergänze ich die fehlenden Ziffern aus dem Gedächtnis. Ich habe nur eine einzige Münze. Hoffentlich irre ich mich nicht.
    Ich wähle die Nummer. Freizeichen.
    »Hallo?«
    »Morgan, ich bin’s, Alma. Ich brauche Hilfe.«
    »Was ist passiert?«
    »Ich weiß es nicht!«
    »Wo bist du?«
    »Ich weiß nicht.«
    Das ist das Letzte, was ich herausbringe, bevor mir der Schmerz in meinem Kopf, in einer gewaltigen Eruption, das Bewusstsein raubt.

[home]
    Kapitel 56
    A lma! Alma, hörst du mich?«
    Es ist die Stimme von Morgan. Wahrscheinlich träume ich.
    Ich versuche, die Augen zu öffnen, aber meine Lider sind bleischwer, als wären sie festgenäht. Das Bild ist unscharf, erst langsam werden die Konturen klarer, und Morgans Augen tauchen in all ihrer wunderbaren Leuchtkraft vor mir auf.
    »Ich höre dich.«
    Er hält mich in seinen Armen.
    »Ich bin hier, Alma. Alles ist gut. Was ist passiert?«
    Die Tränen schießen mir in die Augen, und ich klammere mich an ihn. Es ist mir nicht peinlich, mich in seine Umarmung sinken zu lassen.
    »Ich verstehe überhaupt nichts mehr, Morgan. Ich bin am Ende! Es gibt nur … nur Böses um mich herum … nur Böses!« Schluchzend stoße ich die Worte hervor. »Zuerst Seline … dann Adam … dann Naomi … und währenddessen sind die anderen gestorben … gekreuzigt, aufgehängt … und ich dachte, es wäre Tito … und dass die Männer, die mich verfolgt haben, für ihn arbeiten, aber es hört nicht auf, Morgan! Das Böse hört nie auf …«
    »Alma …«
    »Ich habe geglaubt, Agatha wäre in Schwierigkeiten, und dabei ist ihre Tante tot! Tot wie eine Statue! Ich habe geglaubt, dass Naomi unbedingt Tito anzeigen muss, und dabei … ich habe geglaubt, er wäre ein Mörder … sie wären alle Mörder … und dabei bin ich es! Ich bin es!«
    »Red keinen Unsinn.«
    »Mein Bruder! Ich wollte meinen eigenen Bruder umbringen!«
    Morgan streichelt mir über den Kopf. »Nein, du wolltest niemanden umbringen.«
    »Mit einer Eisenstange!«, stöhne ich.
    »Du täuschst dich.«
    »Ich bin nicht verrückt!«
    »Das habe ich nie gedacht.«
    Seine Finger sind noch immer in meinen Haaren. Sie massieren meine Schläfen,

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