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Nacht

Nacht

Titel: Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Melodia
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bringen«, antwortet sie ausweichend.
    Als sie mit dem Glasbehälter aus dem Labor kam, hat sie gelogen, und sie lügt auch jetzt.
    »Überstunden für Professor K. also …«
    »Genau. Hoffen wir, dass es sich lohnt.«
    »Bestimmt, er ist großartig.«
    Agatha nickt. »Und Chemie ist das Einzige, was mich in diesem Scheißladen hier interessiert.«
    Kann ich ihr da widersprechen?
    »Wie ist der Professor so?«
    Sie sieht mich schräg an. Ich bin ihr zu nahe gekommen, das passt ihr nicht. »Wie alle.«
    »Ich finde ihn ziemlich seltsam, du nicht?«
    Agatha zieht eine Grimasse, um mir zu verstehen zu geben, dass sie meine Bemerkung keiner Antwort für würdig hält. Es ist immer verflixt schwierig, mit ihr zu reden.
    Ich beschließe, das Thema zu wechseln. »Ich habe vorhin an Adam gedacht. Hast du ihn mal wieder gesehen?«
    »Er putzt die Klos.«
    »Hat er nichts zu dir gesagt?«
    »Nein.«
    »Ich kann einfach nicht vergessen, wie er uns angesehen hat, als Scrooge seine Strafe verkündete …«
    »Schon wieder dieser Quatsch!«
    »Ich sage dir, er hat uns angestarrt, Agatha. Er war stinkwütend auf uns. Seine Augen waren voller Hass, als wäre das alles unsere Schuld. Warum nur, was meinst du?«
    Für einen Moment glaube ich, etwas in ihrem Blick aufflackern zu sehen, doch er wird gleich wieder hart und undurchdringlich.
    »Adam kann denken, was er will. Er wird uns jetzt nicht mehr belästigen.«
    »Bist du sicher?«
    »Er hat die Wahl. Falls er noch mal irgendeinen Mist versucht, weiß er, mit wem er es zu tun bekommt.«
    »Nämlich?«
    »Mit mir.«
    Diese Antwort lähmt mich wie ein Gift. Wer ist Agatha wirklich?
    Nachdenklich sehe ich ihr hinterher, wie sie mit ihrem Rucksack davongeht, umgeben von ihrer Aura aus Hass und Einsamkeit.
    Dann fällt mir Professor K. wieder ein.
    Mit seiner Sonnenbrille.
    Jedes Mal, wenn du einen von denen triffst …

[home]
    Kapitel 43
    S eit mindestens fünf Minuten starre ich abwechselnd auf das Telefon und die Nummer auf meinem Handrücken. Ich nehme den Hörer in die Hand, wähle die ersten Ziffern und lege wieder auf. Ich bin in der Diele. Sonst ist niemand zu Hause.
    Endlich bringe ich es zu einem Entschluss: Ich rufe ihn an.
    Kurzes Klingeln, eine Stimme meldet sich.
    »Hier ist Alma, hallo.«
    »Alma!«
    Er scheint sich zu freuen.
    »So eine Überraschung. Wie geht’s?«
    Könnte nicht schlimmer sein. »Gut. Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Zeit hättest, mir bei meinem Artikel zu helfen.«
    Pause.
    »Ja, gern. Willst du heute vorbeikommen?«
    »Das wäre gut.«
    »Weißt du, wo unsere Redaktion ist?«
    »Natürlich.«
    Ich weiß es nicht, aber ich will nicht, dass er mich für ein kleines Mädchen hält, dem man alles erklären muss. Es wird nicht schwer sein, die Adresse herauszubekommen.
    »Dann erwarte ich dich so um sechs?«
    »Sehr gut, danke.«
    »Ist mir eine Freude.«
    Das bezweifele ich nicht.
    Ehe ich das Haus verlasse, gehe ich in mein Zimmer, mache die Tür hinter mir zu, hole das violette Heft aus dem Schrank und betrachte es, ohne es aufzuschlagen. Der Einband ist glatt und weich und von einem sehr tiefen Violett, das mich an die heiligen Paramente in der Kirche erinnert. Ich streichele darüber und schließe die Augen. Ich kann die Worte darin spüren, sie verbrennen meine Fingerkuppen. Schnell ziehe ich die Hand zurück und lege das Heft wieder an seinen Platz.
    Ich muss los.
     
    Die Gebäude am Alten Hafen sind große Backsteinklötze mit hohen Fenstern. Früher wurden dort Waren gelagert, und in der ganzen Gegend muss reges Treiben geherrscht haben. Jetzt, da der Hafen stillgelegt ist, hat man einen Teil des Viertels in ein sogenanntes »Aufwertungsprojekt« einbezogen. Davon haben sie mehrere in der Stadt begonnen, mit dem einzigen Ergebnis, dass überall lärmende Baustellen entstehen, auf denen mechanische Rieseninsekten graben, niederreißen und wieder aufbauen. Dort, wo vorher Häuser, Gärten und Fabriken waren, entstehen nun neue Wohnblocks, die völlig identisch aussehen, geradezu geklont.
    Ohne Eile gehe ich an den alten Speichern entlang über den Kai. Er wird von wenigen übrig gebliebenen Straßenlaternen beleuchtet, deren Eisensockel mit inzwischen rostüberzogenen Ankern verziert sind. Das Licht teilt dicke Scheiben aus Dunkelheit ab und zeigt nur einen Teil des Verfalls um mich herum.
    Ein nasskalter Wind, der nach Schlamm riecht, umweht mich, kriecht in meine Nase und die Kehle hinunter bis in den Magen. Ich huste und bedecke

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