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Nacht der Geister

Nacht der Geister

Titel: Nacht der Geister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Ecke des Foyers eine große, geschwungene Treppe. Es war kein hilfreicher Plan des Gebäudes vorhanden, nicht mal diskrete Hinweisschilder über den Türen.
    »Okay«, murmelte ich, »was mache ich hier eigentlich, und wohin soll ich jetzt?«
    Ohne auch nur innezuhalten, hoben die vier Schreiber, die mir am nächsten waren, ihre durchscheinenden Arme und zeigten zu der Treppe in der nordwestlichen Ecke hinüber.
    »Und was ist da oben?«, erkundigte ich mich.
    Ein Bild erschien schlagartig in meinem Kopf. Ein geflügelter Engel. Ob die Schreiber es mir geschickt hatten oder ob mir der Gedanke von selbst gekommen war, wusste ich nicht, aber ich nickte ihnen dankend zu und ging zu der Treppe hinüber.

    Die Treppe führte zu einem Treppenabsatz hinauf, von dem aus drei Türen und eine schmalere Wendeltreppe weiterführten.
    Als ich auf die nächste Tür zuging, zeigte ein vorbeikommender Schreiber nach oben.
    »Danke«, sagte ich.
    Ich stieg die Treppe hinauf und fand oben drei weitere Tü
    ren und eine noch schmalere Treppe. Wieder zeigte mir ein Geist den Weg. Wieder führte der Weg nach oben. Noch zwei Treppenabsätze. Noch zwei Arrangements aus Türen und einer Treppe. Noch zwei hilfsbereite Geister. Ich wusste, dass ich den Horst des Engels erreicht hatte, als mir nur noch eine Möglichkeit blieb: eine einzelne, weiße Tür.
    Hinter dieser Tür befand sich ein Engel. Ein echter Engel.
    Ich war noch nie einem begegnet. In der Geisterwelt redeten wir nicht viel über Engel, und wenn doch, taten wir es in einem halb spöttischen und halb ehrfurchtsvollen Ton, als hätten wir Paranormalen uns gern über sie lustig gemacht, wären uns aber nicht sicher, ob wir es wirklich wagten.
    Engel sind die irdischen Boten der Parzen und ihresgleichen.
    Hin und wieder hörte man etwas davon, dass ein Engel geschickt wurde, um irgendein irdisches Problem zu beheben.
    Was das für ein Problem war, erfuhr man nie wahrscheinlich irgendein tränenseliges Missgeschick, das sich gut für eine Episode von Ein Hauch von Himmel geeignet hätte. Die Engel stiegen herab und schwebten auf der Erde herum, verteilten Friede, Freude und Eierkuchen und brachten rechtzeitig vor der nächsten Werbepause die Welt wieder ins Lot; dann kehrten sie auf ihre Wolke zurück und warteten auf die nächste BeinaheKatastrophe.
    Warum die Parzen ausgerechnet einen Engel geschickt hatten, um dieses mordgierige Miststück von einem QuasiDämon zu suchen, war mir ein Rätsel. Man hetzte doch auch keinen Schmetterling auf einen Falken. Die Nixe hatte genau das getan, was ich erwartet hätte den Engel erledigt und in Teilen zurückgeschickt. Aber die Parzen hatten ja zugegeben, dass sie einfach nicht wussten, wie sie der Nixe beikommen sollten; insofern war die Reaktion, als Erstes einen ihrer himmlischen Botschafter hinterherzuschicken, wohl verständlich.
    Ich streckte die Hand nach der Tür aus, und ein Kraftstoß ging durch mich hindurch. Als ich mich wieder gefangen hatte, sah ich auf meine Hand hinunter und bog die Finger. Kein Schmerz . . . nur Überraschung. Ein mentaler Schock.
    Ich streckte die Hand vorsichtig ein zweites Mal aus; diesmal war ich auf den Stoß vorbereitet. Stattdessen spürte ich eine Welle einer undefinierbaren Emotion, unbestimmbar, aber entschieden negativ. Eine magische Barriere. Statt mich körperlich zurückzustoßen, löste sie eine unterbewusste Stimme aus, die mir mitteilte, dass ich dort nicht eintreten wollte.
    Aber ich wollte. Ich musste.
    Also schob ich die Empfindung zur Seite und klopfte an.
    Einen Sekundenbruchteil lang wurde alles dunkel. Bevor ich auch nur »Oh, Mist« denken konnte, verflog die Dunkelheit.
    Die Tür war verschwunden. Ich stand in einem weißen Raum.
    Dieser allerdings schien aus Backstein zu bestehen und weiß gekalkt zu sein das Muster der Steine war unter dem Putz noch zu erkennen. Auch der Boden bestand aus Ziegeln, aber er war dunkel und gemustert. In der Mitte lag ein großer Rohrteppich, umgeben von mehreren Holzstühlen mit hohen Lehnen, ein paar Tischen und einem geschnitzten Sofa mit bestickten Kissen.

    In der gegenüberliegenden Wand befand sich ein Fenster.
    Draußen sah ich eine Wüstenlandschaft, in der ein paar kantige Pyramiden verstreut lagen. Eine Illusion, wie ich annehmen musste, aber eine sehr hübsche Illusion. Wenn die Leute, die diese psychiatrische Klinik in der Menschenwelt leiteten, genauso viel Sorgfalt auf die Umgebung ihrer Patienten verwendet hätten, dann hätten diese

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