Nacht der Geister
Auto, und sie kommt rein.« Er ging neben Savannah auf die Knie.
»Komm, geh ans Fenster, Liebes. Du kannst Paige sehen. Sie kommt dich holen.«
Savannah wiegte sich vor und zurück, die blutigen Hände um die Knie gelegt, den Blick starr geradeaus gerichtet.
Zwei Sanitäter waren eingetroffen und kümmerten sich um Lily und die andere Frau, aber keiner von ihnen hatte Zeit für Savannah.
Die übrigen Teilnehmer des Kurses waren geflüchtet, als Lily die Waffe fallen ließ, und hatten sie mit den beiden Leichen alleingelassen.
»War nicht schnell genug«, murmelte Savannah, die Lippen an den Knien. »Hätte eine andere Formel nehmen sollen. Eine Schnellere.«
»Du hast alles richtig gemacht, Liebes«, sagte Kris. Er griff nach ihrer Hand; seine Lippen zuckten, als er nur leere Luft fasste. Dann warf er einen wütenden Blick über die Schulter.
»Wo ist Paige?«
Ich ging zum Fenster. Von dort aus sah ich die Auffahrt, die jetzt hastig mit Absperrband versperrt worden war, und Paige, die auf der falschen Seite feststeckte und mit einem jungen Polizisten diskutierte. Ihr Gesicht war angespannt, ihre Augen brannten, und ich wusste, sie hätte nichts lieber getan, als den Polizisten mit einer Formel rückwärts über sein Band segeln zu lassen und in das Gebäude zu rennen. Aber ich wusste ebenso gut, dass sie es nicht tun würde nicht, bevor sie nicht alle ungefährlichen Möglichkeiten erschöpft hatte.
Ein junger Mann erschien mit langen Schritten hinter Paige.
Groß, dünn, lateinamerikanischer Abstammung, mit Drahtbrille und einer zerschrammten Lederjacke.
»Lucas«, murmelte ich. »Gott sei Dank. Stoß denen Bescheid.«
»Wird er«, sagte Kris vom anderen Ende des Raums her. Sogar von hier oben aus konnte ich verfolgen, wie Lucas’ ruhiges Gebaren plötzlich verschwand, als er sich aufrichtete und mit der Autorität, wie sie nur der Sohn einer Kabale zustande brachte, Anweisungen zu bellen begann. Während er sprach, schob er sich allmählich zur Seite und nahm die Aufmerksamkeit des Beamten mit, und Paige drückte sich in die andere Richtung, duckte sich unter dem Band hindurch und rannte die Auffahrt hinauf.
»Sie kommt rauf«, sagte ich, und wenige Augenblicke später schoss Paige zur Tür herein, lief quer durch den Raum und glitt neben Savannah auf den Boden, um sie in den Arm zu nehmen.
Savannah ließ sich gegen sie fallen und begann an ihrer Schulter zu schluchzen. Lucas kam eine Minute später hereingefegt.
Er griff nach Savannahs Hand. Mit der anderen Hand begann er in Paiges Handtasche zu wühlen, holte ein Taschentuch heraus und tupfte vorsichtig das Blut von Savannahs Fingern. Das Herz tat mir weh, als ich sie beobachtete. Ein Teil von mir war glücklich in dem Wissen, dass meine Tochter die besten Stiefeltern hatte, die ich mir wünschen konnte. Aber einen anderen Teil von mir schmerzte es entsetzlich, sie dort zu sehen in einer Familie, zu der ich nicht gehörte und nie gehören würde.
»Ich konnte ihr nicht helfen«, flüsterte ich. »Ich konnte nichts tun. Ich hab’s versucht ich habe alles versucht. Ich dachte, vielleicht . . . aber nein. Ich kann nichts tun.«
Kristofs Arme legten sich um mich, und ich ließ mich gegen ihn fallen.
Ein paar Minuten später nahmen Paige und Lucas Savannah mit nach Hause. Kristof führte mich hinunter zum Hinterausgang des Gebäudes, und wir gingen eine Stunde lang den Leichtathletikplatz ab, ohne zu reden. Ich konnte nicht aufhö
ren, an den Moment zu denken, als Lily die Waffe gehoben hatte ihn wieder und wieder ablaufen zu lassen und nach einer Lösung zu suchen, nach irgendetwas, das ich hätte tun können. Und es gab eine Antwort. Eine einzige Antwort. Ich musste ein Engel werden.
Als ich mich zu Kristof umdrehte, lagen mir die Worte auf den Lippen. Ich könnte sie schützen, Kris. Wenn ich ein Engel würde, könnte ich sie schützen. Ich hätte Lily und die Nixe aufhalten können. Aber seine Antwort kannte ich bereits. Er würde es nicht als die Lösung betrachten, sondern als einen weiteren Schritt in die falsche Richtung mein Jenseits aufzugeben, um unsere Tochter zu schützen.
Also sagte ich stattdessen: »Vielleicht kann ich Savannah nicht helfen, aber ich kann der Nixe zeigen, dass sie mit ihrer kleinen Demonstration nichts weiter erreicht hat, als mich zu ärgern.«
Ein winziges Lächeln. »Was man besser nicht tun sollte.«
»Das wird sie auch bald rausfinden.« Ich sah zu dem Gebäude zurück. »Ich gehe besser und suche
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