Nacht der Leidenschaft
diesen Kreisen spielte, selbst wenn ihr Leben davon abhinge. Stattdessen schrieb sie über die Menschen vom Land, über Arbeiter und Geistliche, Beamte und Gutsherren. Glücklicherweise schienen ihre Geschichten bei den Lesern Anklang zu finden, denn die Verkaufszahlen waren hoch.
Eine Woche nach ihrem Geburtstag nahm Amanda eine Einladung zu einem größeren gesellschaftlichen Anlass im Haus von Mr. Thaddeus Talbot an, einem Anwalt, der Autoren in rechtlichen Angelegenheiten beriet. In Amandas Augen war er ein besonders lebenslustiger, ja sogar zügelloser Mensch. Er gab das Geld mit vollen Händen aus, rauchte und trank bis zum Exzess, spielte, jagte den Frauen hinterher und schien durchweg ein vergnügliches Leben zu führen. Seine Einladungen zum Abendessen waren sehr begehrt. Die Gäste wurden mit Köstlichkeiten bewirtet, der Wein floss in Strömen, und alles spielte sich in zwangloser Heiterkeit ab.
„Ich bin froh, dass Sie zu dieser schönen Einladung gehen, Miss Amanda“, bemerkte Sukey, ihre Zofe, als Amanda sich im großen Spiegel in der Diele betrachtete. Die Frau mittleren Alters, von elfengleicher Figur und lebhaftem Wesen, hatte zuvor schon viele Jahre im Dienst der Familie Briars gestanden. „Ein Wunder, dass Sie keine Migräne plagt, nachdem Sie die ganze Woche am Schreibtisch verbracht haben.“
„Ich musste den Roman noch zu Ende schreiben“, erklärte Amanda mit einem Lächeln. „Außerdem wollte ich das Risiko nicht eingehen, bei einem müßigen Spaziergang durch die Stadt entdeckt zu werden. Mr. Sheffield hätte mir bestimmt die Hölle heiß gemacht vor Angst, dass das Buch nicht termingemäß in die Druckerei kommt.“
Sukey schnaubte vergnügt, als Amanda den Namen ihres Verlegers nannte. Er war ein sauertöpfischer, ernster Mann, der in ständiger Sorge schwebte, dass sein kleiner Stall von Schriftstellern vom Strudel der Londoner Gesellschaft erfasst würde und nicht mehr zum Schreiben käme. Um die Wahrheit zu sagen, seine Befürchtungen waren berechtigt. Bei all den Vergnügungen, die die Stadt bot, war es ein Leichtes, seine Verpflichtungen zu vergessen.
Als sie zu dem langen, schmalen Fenster an der Haustür blickte und die Schneekristalle sah, die der Frost gezaubert hatte, fröstelte es Amanda, und sie blickte sehnsüchtig zu ihrem gemütlichen kleinen Salon. Plötzlich bekam sie Lust, einen alten, bequemen Morgenmantel anzuziehen und den Abend lesend am Kaminfeuer zu verbringen.
„Draußen scheint es furchtbar kalt zu sein“, stellte sie fest.
Eilig holte Sukey den schwarzen samtenen Abendmantel ihrer Herrin und füllte die Diele mit ihrem lustigen Geplapper. „Scheren Sie sich nicht um die Kälte, Miss Amanda. Sie werden noch Zeit genug haben, Ihre Tage und Nächte vor dem Kamin zu verbringen, wenn Sie zu alt und gebrechlich sind, um sich in die kalte Winterluft hinauszuwagen. Jetzt ist die Zeit, um mit Freunden zu feiern. Was macht da schon ein bisschen Kälte? … Eine warme Bettpfanne und ein Glas Brandy mit heißer Milch stehen bereit, wenn Sie nach Hause kommen.
„Ja, Sukey“, sagte Amanda pflichtschuldig und lächelte die Zofe an.
„Und, Miss Amanda“, wagte die Zofe ihre Herrin zu ermahnen, „Sie sollten Ihre Zunge etwas im Zaum halten, besonders im Beisein von Herren. Schmeicheln Sie ihnen, lächeln Sie und tun Sie so, als ob Ihnen das ganze Gefasel über Politik, Wirtschaft und so weiter gefällt…“
„Sukey“, unterbrach Amanda sie ironisch, „du hoffst wohl noch immer, dass ich eines Tages heiraten werde?“
„Es könnte doch sein. Warum nicht?“, beharrte die Zofe.
„Ich gehe nur zu dieser Einladung, um unter Menschen zu sein und mich zu unterhalten. Aus keinem anderen Grund“, klärte Amanda sie auf. „Bestimmt nick um mir einen Ehemann zu angeln!“
„Gewiss, aber Sie sehen heute besonders schön aus.“ Voll Anerkennung schweifte Sukeys Blick über Amandas schwarzes Abendkleid aus glänzender geriffelter Seide, das ihren Busen betonte. Der Saum am Dekollete war – wie die langen, engen Ärmel – mit glitzernden Strasssteinen bestickt. Dazu trug sie schwarze Schuhe und Handschuhe aus weichem Wildleder.
Es war ein äußerst elegantes, eigenwilliges Ensemble, das aus Amandas Figur das Beste machte und ihren schönen vollen Busen zum Blickfang werden ließ. Obwohl sich Amanda früher nicht sehr modisch gekleidet hatte, war sie nun zu einem der renommiertesten Londoner Schneider gegangen und hatte sich einige Kleider nach der
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