Nacht der Leidenschaft
neuesten Mode fertigen lassen.
Mit Sukeys Hilfe schlüpfte Amanda in den hermelingefütterten Umhang, steckte die Arme durch die mit Seide umnähten Armlöcher und schloss die goldene Schließe am Hals. Dann setzten sie gemeinsam einen großen Pariser Hut aus schwarzem Samt mit rosafarbenen Seidenfutter vorsichtig auf das Haar. Auf Sukeys Vorschlag hin hatte sich Amanda für diesen Abend zu einer neuen Frisur entschlossen. Aus dem lose geflochtenen Knoten fielen wie zufällig einige gelockte Haarsträhnen heraus.
„Das schwöre ich Ihnen, Sie werden sich noch einen Ehemann einfangen!“, verkündete Sukey. „Vielleicht begegnet er Ihnen sogar schon heute Abend.“
„Ich will keinen Ehemann“, sagte Amanda streng. „Meine Unabhängigkeit geht vor.“
„Unabhängigkeit“, rief Sukey aus und rollte die Augen zum Himmel. „Ein Ehemann im Bett wäre Ihnen gewiss lieber, würde ich meinen.“
„Sukey“, ermahnte Amanda sie missbilligend. Aber die Zofe lachte nur. Sie wusste, dass sie sich diese Bemerkung auf Grund ihres Alters und der langen Familienzugehörigkeit erlauben durfte.
„Ich wette, dass Sie einen feineren Mann erwischen als Ihre Schwestern, Gott segne sie beide“, prophezeite Sukey.
„Die besten Dinge kommen zu denen, die abwarten, sage ich immer.“
„Wer würde es wagen, dir zu widersprechen?“, bemerkte Amanda ironisch und zuckte bei dem kalten Lufthauch zusammen, als der Butler Charles die Haustür für sie öffnete.
„Die Kutsche wartet, Miss Amanda“, sagte er gut gelaunt und trug ein sorgsam gefaltetes Plaid über dem Arm. Er führte sie zu der alten, aber gut gepflegten Familienkutsche, half ihr beim Einsteigen und legte ihr das Plaid über die Knie.
Amanda wickelte sich in die weiche Decke, lehnte sich an die abgeschabten Lederpolster und lächelte freudig in Erwartung der bevorstehenden Einladung. Das Leben war doch schön, dachte sie. Sie hatte Freunde, ein gemütliches Zuhause und ging einer Beschäftigung nach, die nicht nur interessant, sondern auch einträglich war.
Dennoch hatte sie sich über Sukeys Rat geärgert, sich trotz ihres Vermögens einen Ehemann zu suchen.
In Amandas Leben gab es für einen Mann keinen Platz. Sie genoss es, ihre Meinung zu sagen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, sowie sich ungezwungen zu benehmen, ohne sich Einschränkungen aufzuerlegen. Der Gedanke an einen Ehemann, dessen rechtliche und gesellschaftliche Position sie in ihren Freiheiten einschränkte war unerträglich. Bei jeder Auseinandersetzung, die sie führten, würde er das letzte Wort haben wollen. Nach Gutdünken könnte er über ihre Einnahmen verfügen. Und wenn sie Kinder haben sollten, würden sie als sein Eigentum angesehen werden. Amanda wusste, dass sie einem anderen Menschen freiwillig niemals diese Macht über sich geben würde, was aber nicht hieß, dass sie das männliche Geschlecht ablehnte. Im Gegenteil, sie hielt es für ziemlich klug, dass die Männer so viele Dinge zu ihrem Vorteil geregelt hatten.
Und doch … wie schön wäre es, Gesellschaften, Ausstellungen und Dichterlesungen. mit einem geliebten Begleiter zu besuchen. Wenn man jemanden an seiner Seite hätte, mit dem man reden, argumentieren und teilen könnte.
Jemanden, mit dem man äße, an den man sich im Bett anschmiegen könnte, um die Winterkälte zu vertreiben. Und doch zog sie ihre eigene Unabhängigkeit vor, auch wenn es Schattenseiten gab. Alles hatte seinen Preis, und sie hatte sich ihre Eigenständigkeit mit Einsamkeit erkauft.
Die Erinnerung an das, was erst vor einer Woche geschehen war, lag noch in der obersten Schublade ihres Gedächtnisses, trotz angestrengter Versuche, es im tiefsten Winkel zu verstauen. „Jack“, flüsterte sie und legte eine Hand auf die Mitte ihrer Brust, wo sich ein wehmütiger Schmerz ausbreitete. Sie sah ihn deutlich vor sich: das überirdische Blau seiner Augen, die tiefe, samtige Stimme. Für viele Frauen war ein nächtliches Liebesabenteuer fast etwas Alltägliches, aber für sie war es die aufregendste Erfahrung ihres Lebens gewesen.
Ihre melancholische Stimmung verflog, als die Kutsche vor Mr. Talbots Haus anhielt, einem beeindruckenden roten Backsteingebäude mit weißen Säulen. Das hell erleuchtete zweigeschossige Haus lag in einem quadratischen kleinen Garten. Lachen und fröhliches Stimmengewirr drangen bis zu ihrer Kutsche. Wie man es von einem erfolgreichen Anwalt erwartete, war das Haus mit Stil und Geschmack eingerichtet. Die Eingangsdiele
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