Nacht der Vampire
verlieben. Nach der heutigen Nacht jedoch war er wieder bedingungslos mit Roxanne und deren weiterer Zukunft verschmolzen — einerlei, was sie auch bringen mochte.
Adieu, Lily, dachte er.
Langsam glitt er in den Schlaf und erlebte plötzlich ein unermeßliches Glücksgefühl. Er vernahm ein Geräusch. Es klang wie ein im Wind bewegter Ast, der übers Dach strich.
Oder vielleicht wie ein großes Flügeltier, das kroch und scharrte . . .
Hatte sie eine Stunde geschlafen? Oder zwei? Viel länger bestimmt nicht, denn sie war erst spätnachts eingeschlafen, und jetzt schimmerte die Morgenröte durch das Fenster. Trotzdem fühlte sie sich herrlich ausgeruht und frisch.
Sie dachte an die halbe Stunde vor dem Einschlafen, lächelte und reckte sich wohlig. Seit den ersten Tagen ihrer Ehe war sie nicht mehr derart glücklich erwacht. Sie hatte sich von diesem Urlaub eine Belebung ihrer Ehe erhofft, und ihr Wunsch hatte sich erfüllt. Jetzt gehörte Duffy wieder ihr. Sie betrachtete ihn und überlegte, ob sie ihn wecken sollte. Nein, sollte er doch schlafen. Heute nacht hatte er sich diesen Schlaf redlich verdient. Sie war nah daran, selbst wieder unter die Decke zu schlüpfen und noch ein wenig zu schlummern.
Aber es ging nicht. Sie lag wach und voller Vorfreude auf einen langen, glücklichen Tag da. Sie wollte keinen Augenblick davon versäumen.
Vorsichtig, um Duffy nicht zu stören, stand sie auf, ging ins Bad und putzte sich rasch die Zähne. Dann kramte sie in einer Lade nach ihrem winzigsten Bikini, den sie schnell anzog, um danach über die Veranda hinaus auf den Rasen zu laufen.
Die Nacht hatte kaum Abkühlung gebracht. Der Morgen war warm, der Himmel wolkenlos, und eine sanfte Brise raschelte in der Baumkrone, auf die Roxannes Blick zufällig fiel. Es war derselbe Baum, in dem sich am Abend ihrer Ankunft etwas Unheimliches verborgen hatte. Aber das gehörte der Vergangenheit an.
Die Luft war ungemein klar, und die Sonne funkelte gleißend im Wasser, daß es sie blendete. Roxanne machte einige Schritte auf den kleinen Privatstrand zu.
Dann hielt sie an.
Es gibt Momente, in denen das Auge Dinge sieht, die der Verstand nicht aufnimmt. Und dann gibt es wieder Momente, in denen das Begriffsvermögen einfach streikt, weil sonst der Betrachter den Verstand verlieren müßte.
Irgend etwas lag im Gras und war fürchterlich rot und zerfetzt. Es lag völlig verrenkt und formlos da. Es bestand aus grellem Rot und dunklem Rot, aus roten Lumpen und schwarzen Löchern und aus einem Auge, das sie anstarrte, und aus Fliegen, die um die leeren Höhlen schwärmten, und —
Manche Leute sagten später, man hätte ihr Schreien bis ans andere Ende des Sees gehört.
13
Leichenschänder, dachte Duffy.
Dauernd schlichen sie ums Haus. Sie hielten sich in gewisser Entfernung, aber sie waren ständig da. Die meisten heuchelten gar nicht, zufällig vorbeizukommen. Sie hatten rund ums Haus kleine Gruppen gebildet und gafften. Gingen sie vorbei, dann machten sie lange Hälse.
»Mal sehen, ob ich alles richtig mitgeschrieben habe«, sagte Sheriff Talbot Grennis und blickte in den Notizblock in seiner Hand. »Sie und Lily Bains haben das Häuschen der Douglases gemeinsam verlassen. Zack blieb noch dort.«
»Stimmt.«
»Sie brachten Lily heim und fuhren dann hierher. Die Uhrzeit wissen Sie noch immer nicht?«
»Ich sagte es Ihnen doch bereits. Es war noch nicht spät.«
»Ihre Frau hat sie erwartet.«
»Auch das habe ich schon gesagt. Sie schlief.«
»Und hat angeblich die ganze Nacht durchgeschlafen. Aber Sie schliefen selbst auch, sagten Sie.«
»Ich habe einen leichten Schlaf«, versetzte Duffy gereizt. »Herrgott noch mal, Tal, es klingt ja immer mehr, als glaubten Sie an den Unsinn vom Werwolf! Sie hat nichts weiter getan, als die, Leiche vor dem Haus gefunden! Und geschrien! Nicht zum Spaß, glauben Sie mir! Ich bin rausgelaufen und habe sie ins Haus geholt —«
»Ist alles vermerkt.«
»Dann gab ich ihr ein Beruhigungsmittel —«
»Eine Spritze ins Traumreich, damit ich sie nicht einvernehmen kann«, seufzte Grennis.
»— und habe Sie verständigt. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Das ist alles, was ich weiß?.«
»Es stimmt aber doch, daß Ihre Frau wegen Halluzinationen über ihre Werwolfexistenz behandelt wurde, oder?«
Die Frage traf Duffy wie ein Fausthieb. Seine Gesichtsnerven waren wie gelähmt. Er starrte Tal Grennis an, dessen rundes Gesicht mit den verschlafenen Augen ihm wie gewohnt
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