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Nacht des Flamingos

Nacht des Flamingos

Titel: Nacht des Flamingos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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später im Vermißtendezernat gemeldet werden. Sie werden sich jetzt mit Chuck Lazer unterhalten, und ich fahre inzwischen zur Heilsarmee und sehe, ob Martha Broadribb uns nicht weiterhelfen kann.«
    Sein Gesicht war ernst, als er zu seinem Wagen hinunterging. Jeder gute Kriminalbeamte muß sich, abgesehen von den Tatsachen, auch von seinem Instinkt leiten lassen. Und Nick Miller hatte das Gefühl, daß hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, daß die Sache viel ernster war, als sie auf den ersten Blick zu sein schien.

    4

    Das kleine Büro in der Stone Street war überfüllt. Ein halbes Dutzend junger Männer und Frauen saßen über alte Schreibtische gebeugt, umgeben von grünen Aktenschränken.
      »Ich werde nachsehen, ob der Major in seinem Büro ist«, sagte Millers Begleiter, ein magerer junger Mann mit ernstem Gesicht und einer Brille.
      Miller lehnte sich an einen Aktenschrank und wartete. Immer wieder beeindruckten ihn der Fleiß und die Unermüdlichkeit, die hier so offensichtlich an der Tagesordnung waren. Ein bedrucktes Blatt Papier war auf den Boden gefallen. Er hob es auf und überflog die Überschrift: ›Wir suchen Ihre vermißten Angehörigen in allen Teilen der Welt. Alle Ermittlungen und Nachforschungen werden streng vertraulich behandelt.‹
      Bei allen von der Polizei oder amtlichen Stellen eingeleiteten Bemühungen, Vermißte ausfindig zu machen, erwies es sich immer wieder von größtem Nachteil, daß es ganz und gar nicht gegen das Gesetz verstieß, einfach zu verschwinden. Wenn nicht der Verdacht einer Straftat vorlag, waren der Polizei die Hände gebunden. Und somit hatte sich groteskerweise die Heilsarmee zum erfahrensten Experten auf diesem Gebiet entwickelt. Jedes Jahr behandelte sie an die zehntausend Anfragen aus dem In- und Ausland. Ihren Hauptsitz hatte sie in Bishopsgate bei London, und diese Zentrale stand ständig mit den Zweigstellen in den kleineren Städten in Verbindung.
    Der junge Mann trat aus einem Nebenraum. Er hatte den Arm um eine schäbig gekleidete Frau mittleren Alters gelegt, die offensichtlich geweint hatte, und führte sie hinaus. Er nickte Miller kurz zu.
      Nick Miller eilte an ihnen vorüber und betrat Martha Broadribbs Büro.
      Major Martha Broadribb war genau einsfünfzig groß. Die straffe kleine Gestalt in der Uniform, die Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen ließen nicht ahnen, daß sie die Sechzig schon überschritten hatte. Die blauen Augen hinter der randlosen Brille wirkten übergroß, und ihr Gesicht war so glatt und rein wie das eines Kindes, das vom Leben noch nicht verbraucht worden ist. Und doch hatte diese Frau, die den größten Teil ihres Lebens der Missionsarbeit in China gewidmet hatte, drei entsetzliche Jahre in der Einzelhaft eines kommunistischen Gefangenenlagers zugebracht.
      Sie kam ihm mit raschem Schritt entgegen, ein Lächeln echter Freude auf dem Gesicht.
      »Nicholas! Das ist aber wirklich nett. Trinken Sie eine Tasse Tee mit mir?«
      »Da kann ich nicht nein sagen«, versetzte Miller. »Wer war die Frau, die eben gegangen ist?«
      »Die arme Seele. Ihr Mann ist vor einem Jahr gestorben.« Sie holte eine saubere Tasse und eine Untertasse aus dem Wandschrank und trat zu dem Teetablett, das auf ihrem Schreibtisch stand. »Letzten Monat heiratete sie dann einen ihrer Untermieter. Er überredete sie, das Haus zu verkaufen und ihm das Geld zu geben, weil er ein Geschäft eröffnen wollte.«
      »Sie brauchen gar nicht weiterzuerzählen«, warf Miller ein. »Er hat sich aus dem Staub gemacht?«
    »So ungefähr ist es.«
    »War sie bei der Polizei?«
    »O ja – worauf man ihr mitteilte, daß er keine strafbare Handlung begangen hätte und man deshalb nichts für sie tun könnte.« Sie rührte seinen Tee um. »Vier Stück Zucker, das gibt Kraft und Energie. Sie können es gebrauchen.«
    »Glauben Sie, daß Sie ihn finden werden?«
      »Bestimmt«, versetzte sie. »Und dann werde ich ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. Wenn ich ihm klargemacht habe, daß man seinen Verpflichtungen nicht einfach den Rücken kehren kann, wird er gewiß doch noch ein guter Ehemann.«
      Wieder jemand, der davon überzeugt ist, daß die Menschen tief im Innern gut sind, dachte Miller. Er lächelte ein wenig traurig, und plötzlich fiel ihm seine erste Begegnung mit Martha Broadribb wieder ein. Eines Abends, als er sich schon auf der Fahrt nach Hause befand, war über Funk eine dringende Meldung durchgegeben worden. Er hatte sich

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