Nacht des Flamingos
aus der öffentlichen Telefonzelle trat, die einsam am Rand der schmalen Landstraße stand, grinste er hämisch und rieb sich befriedigt die Hände. Er öffnete die Tür zu dem alten Ford und ließ sich neben Carver auf dem vorderen Sitz nieder.
»Alles in bester Ordnung, Benny. Hätte nicht glatter gehen können«, berichtete er. »Los, sehen wir uns mal die Karte an.«
14
Das Sumpfland in der Nähe von Grimsdyke, wo der Fluß sich verbreiterte, ehe er ins Meer mündete, war ein einsames Gebiet unberührter Wildnis. Schmale Bäche schlängelten sich durch den moorigen Grund, und das Schilf stand mannshoch, so weit das Auge reichte. Seit Urzeiten waren immer wieder Menschen in dieses gottverlassene Gebiet eingedrungen, Römer, Sachsen, Angeln, Normannen, doch jetzt, im zwanzigsten Jahrhundert, war es geisterhaft öde, eine fremde Welt, die nur von Vögeln bewohnt war und von den Wildgänsen, die aus dem hohen Norden hierher in den Süden flogen, um in der milderen Luft zu überwintern.
Miller lenkte den Cooper von der Hauptstraße auf einen schmalen Seitenpfad. Sie hatten soeben Culler's Bend passiert. Nun dehnte sich zu beiden Seiten einsames Sumpfland, und das Schilf bog sich im Regensturm.
Harriet kurbelte das Fenster herunter und sog tief die frische salzige Luft in die Lungen.
»Wunderbar – ich liebe diese Gegend. So etwas gibt es auf der ganzen Welt nicht mehr. Es ist, als befände man sich auf einem anderen Planeten.«
»Ich muß gestehen, ich bin beeindruckt«, sagte Miller. »Ich bin noch nie hier gewesen.«
»Wenn man sich im Nebel in diesem Gebiet verirrt, kann man es mit der Angst zu tun kriegen«, bemerkte sie. »An manchen Stellen sind so große Sumpflöcher, daß ein ganzer Wagen darin versinken könnte.«
Je näher sie der Mündung kamen, desto dichter wurde der Dunstschleier, der vom Wasser aufstieg. Sie konnten kaum noch zwanzig Meter weit sehen. Schließlich rückte der Schilfwald auseinander, und der Pfad erweiterte sich zu einer großflächigen Lichtung. Hier stand Craigs Jaguar geparkt. Miller bremste.
»Von hier aus müssen wir zu Fuß gehen«, bemerkte Harriet. »Es ist nicht weit.«
Sie folgten einem schmalen Weg durch das Schilf. Wildenten stoben auf, in ihrer Ruhe gestört. Die Landschaft wurde jetzt lebendig. Gurgelnd stieg Wasser aus dem sumpfigen Boden auf, und in kleinen Pfützen schwarz schimmernden Wassers blubberten Blasen.
»Wenn wir uns nicht beeilen, besteht die Gefahr, daß wir ihn verfehlen«, sagte Harriet. »Jetzt ist Ebbe. Das ist der beste Zeitpunkt für die Entenjagd.«
Sie fiel in Laufschritt, und Miller eilte hinter ihr her den schmalen Pfad entlang. Der Wind, der ihm ins Gesicht schlug, wurde plötzlich bitter kalt. Ihre Stimme schallte durch den Regen und sie winkte mit der Hand.
Der Dunstschleier hatte sich ein wenig gelichtet. Man konnte jetzt den Fluß sehen und das Hausboot, das ungefähr vierzig Meter von ihnen entfernt am Ufer vor Anker lag. Duncan Craig wollte eben in ein flaches Boot steigen. Er richtete sich auf und wandte sich nach ihnen um.
Er trug die alte weinrote Mütze der Fallschirmjäger, eine dicke Windjacke und hatte ein Gewehr unter dem Arm. Reglos stand er da und blickte zu ihnen herüber, die Augen mit der linken Hand gegen den Regen schützend. Dann eilte er unvermittelt auf sie zu. Sein Gesicht war bleich und gespannt, als er Harriet am Arm nahm. Es war das erstemal, daß Miller diesen Mann in echter Erregung erlebte.
»Was machst du denn hier?«
Der Zorn in seiner Stimme bestürzte Harriet.
»Was ist denn los, Vater? Was ist geschehen?«
»Wir haben heute morgen versucht, Max Vernon festzunehmen, doch er ist uns entwischt«, erklärte Miller. »Ich dachte, es würde Sie interessieren, daß er immer noch auf freiem Fuß ist.«
Craig versetzte seiner Tochter einen leichten Stoß.
»Bringen Sie sie von hier weg, Miller. Bringen Sie sie weg, ehe es zu spät ist.«
Harriet wirbelte herum. Ihr Gesicht war bleich.
»Sie warten auf ihn«, sagte Miller leise und fassungslos. »Mein Gott, Sie erwarten ihn hier. Sie haben es extra so eingerichtet, nicht wahr?«
»Jeder Schritt war geplant«, versetzte Duncan Craig und klopfte auf seine Waffe. »Vernon soll eine Chance haben – das gehört zu den Spielregeln.«
»Das ist doch kein Spiel mehr, Sie Narr«, fuhr Miller ihn unbeherrscht an. »Sehen Sie das denn immer noch nicht ein? Wenn Max Vernon hier auftaucht, wird
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