Nacht in Havanna
weiterhin der Mittelpunkt der Fotogalerie an der Wand war.
Bei seinem vorherigen Besuch hatte Arkadi sich große Mühe gegeben, keine Spuren zu hinterlassen, an denen Mostowoi erkennen konnte, daß er einen Besucher gehabt hatte. Diesmal kümmerte ihn das nicht. Wo es ein Foto des Havana Yacht Club gab, mußte es auch andere geben, weil ein Mann, der die größten Momente seines Lebens dokumentierte, seine Bilder nicht zerstörte, wenn die falschen Leute auftauchten, er räumte sie nur außer Sichtweite.
Arkadi legte den Mantel ab und machte sich an die Arbeit. Er leerte Schuhkartons und Koffer, räumte Bücher- und Küchenregale leer, stülpte Akten und Schubladen um, zog den Kühlschrank von der Wand und drehte die Stühle auf den Kopf, bis er weitere Fotos gefunden hatte, Pornographie, die weniger athletisch und hübsch daherkam, Videokassetten mit Sex und Leder. Aber jeder hatte einen Nebenerwerb, jeder hatte einen Zweitjob. Der einzige Erfolg, den Arkadi vorzuweisen hatte, war der Schweiß auf seiner Stirn.
Er ging ins Bad, um sich zu waschen. Die Wände waren gekachelt, der Schrank über dem Waschbecken war halb verspiegelt, halb schwarz. Er enthielt ein paar Medikamente, Haarpflegemittel und einen Vorrat an Amylnitrit und Amphetaminen. Als er sich die Hände abtrocknete, fiel Arkadi auf, daß der Duschvorhang zugezogen war. Leute mit kleinen Badezimmern neigten dazu, ihre Duschvorhänge zuzuziehen, sei es um mehr Platz vorzutäuschen oder um kindische Ängste ihrer Besucher zu wecken, was sich möglicherweise dahinter verbarg. Da dies eine Angst war, die Arkadi offen eingestand, riß er den Vorhang auf.
In der mit etwa zehn Zentimeter Wasser gefüllten Wanne schwammen vier Schwarzweißfotos, die weder sportliche Teenager noch Reisen ins Ausland dokumentierten, sondern den Italiener und Hedy zeigten. Das Blut trat schwarz hervor, Teppich und Laken waren blutdurchtränkt und verschmiert. Machetenwunden zogen sich über den Körper des Italieners wie Kiemenspalten. Arkadi kannte ihn nicht, doch er erkannte Hedy, auch wenn ihr Kopf wackelig auf ihren Schultern balancierte. Zunächst glaubte er, daß Mostowoi in den Besitz von Polizeifotos gelangt war, doch diese Bilder waren gerade erst entwickelt worden, die üblichen Markierungen der Beweisstücke fehlten ebenso wie die Schuhspitzen von Ermittlern, die versuchten, der Kamera auszuweichen; und die Dunkelheit der Schatten ließ darauf schließen, daß keine andere Lichtquelle eingeschaltet gewesen war. Am Abend, bevor Ofelia die Leichen gefunden hatte, hatte der Fotograf allein in einem dunklen Zimmer gearbeitet. Es war bestimmt nicht leicht gewesen, die richtige Brennweite zu wählen.
Er hatte nur vier Aufnahmen riskiert oder erst vier von einem ganzen Film entwickelt. Ein Bild des Italieners, wie er sich, noch lebend, zur Tür schleppte. Die Fotos von Hedy wirkten durchdachter. Eine Ganzkörperaufnahme aus der Froschperspektive, von den Beinen bis zum Kopf. Ein zweites, in dem ihr Kopf von ihren erschlafften Brüsten eingerahmt wurde. Ein drittes, das nur Hedys Gesicht zeigte, die Überraschung noch frisch in ihren Augen. Der Mann mit der Kamera hatte der Versuchung nicht widerstehen können, dem Moment seinen Stempel aufzudrücken, indem er mit seiner kräftigen weißen Hand in die lockige Mähne des Mädchens gegriffen hatte, um die Lage des Kopfes zu korrigieren.
27
Um acht Uhr herrschte an der Marina Hemingway das emsige Treiben eines kleinen Dorfes am Samstagabend. Eine internationale Schar junger Leute mit langen blonden Haaren bevölkerte den Platz vor dem Laden oder schleppte Tüten aus dem Eisbunker. Vom anderen Ende des Yachthafens dröhnte die Musik der Diskothek herüber und hallte in den Kanälen wider, Licht glitzerte auf dem Wasser. Am Himmel brannte sich der Rand des Mondes durch das grelle elektrische Licht des Hafens. Ofelia war nirgendwo zu sehen, doch Arkadi vertraute auf ihre Angewohnheit, Verabredungen geradezu fanatisch genau einzuhalten.
Die »Alabama Baron« war verschwunden, ersetzt durch eine Yacht, die so neu war, daß sie noch nach Plastik roch. In der Kabine hatte sich bereits eine jinetera häuslich eingerichtet und mixte Rum und Cola. Daneben lag die »Gavilan«, Walls und O’Brien saßen im Führerstand und tranken Bier, Revolutionär und Risikokapitalist friedlich vereint. Die neue Leitung aus dem Stromkasten schlängelte sich elegant ins Wasser und an der dunklen Bordwand des ehemaligen Beiboots wieder
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