Nacht ist der Tag: Roman (German Edition)
worden war, hatte Hubert den Kontakt zu den meisten seiner Freunde verloren.
Im Januar, während eines Skiwochenendes mit der Abteilung, begann er eine Affäre mit einer seiner Studentinnen. Nina war im letzten Semester, sie war hübsch und hatte unglaublich viel Energie. Zwei Monate lang trafen sie sich einmal pro Woche. Sie schliefen miteinander, und danach diskutierten sie über ihre Arbeit. An Ostern wollte Nina mit ihm in die Berge fahren, aber Hubert sagte, er verbringe die Feiertage mit seinem Sohn.
Dann nimm ihn mit, sagte sie, ich habe nichts gegen Kinder und Tiere.
Die Vorstellung, mit Lukas und Nina ein Wochenende zu verbringen, schien Hubert absurd, und er sagte es. Da hatten sie ihren ersten und einzigen Streit, an dessen Ende sie sich trennten.
Ein Grund hat viele Gründe, sagte Nina, bevor sie ging. Damit, dass er ihre Arbeit betreute, konnte sie besser umgehen als er. Ich bin dir nicht böse, sagte sie. Wir hatten doch eine gute Zeit zusammen.
Hubert dachte immer öfter an die Ausstellung. Als er zugesagt hatte, hatte er geglaubt, ihm würde schon rechtzeitig etwas einfallen. Jetzt, wo der Termin näher rückte, war er sich nicht mehr so sicher. Die Leiterin der Studienabteilung fragte ihn ein paarmal, was er vorhabe. Er zuckte mit den Schultern.
Ich könnte etwas mit Jugendlichen machen, sagte er, etwas über Berge oder Wasser.
Vielleicht wirst du da oben ja zum Landschaftsmaler. Wann fährst du?
Ende Mai, sagte er, für einen Monat.
Als er schon halb aus der Tür war, rief sie ihm nach, er solle doch gelegentlich ein paar neuere Arbeiten auf seine Homepage stellen. Auch mit Nina sprach er über die Ausstellung. Sie saßen in einer Bar und tranken Bier.
Da oben treibt sich doch ein Bär herum, sagte sie, hast du davon gelesen? Du könntest etwas mit Plüschbären machen. Oder mit Bärenkot. Wie dieser Afrikaner, der mit Elefantenkot arbeitet.
Chris Ofili, sagte Hubert. Er ist Brite. Wenn man dir zuhört, klingt alles ganz einfach.
Du findest meine Ideen scheiße, gib es zu, sagte sie lachend.
Manchmal fragte sich Hubert, wann seine Schaffenskrise angefangen hatte. Es war nicht plötzlich geschehen, irgendwann hatte er bemerkt, dass ihm das Malen keinen Spaß mehr machte und dass er seit Monaten nichts Neues angefangen hatte. Vielleicht hatte es mit Lukas zu tun. Er und Astrid hatten kein Kind geplant, und er war mitten in den Vorbereitungen für seine erste Einzelausstellung gewesen, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Zum ersten Mal wurde seine Arbeit wirklich beachtet, eine Kunstzeitschrift druckte die Bilder ab, und sogar das Fernsehen berichtete über ihn. Schon wenige Tage nach der Eröffnung waren etliche Bilder verkauft, obwohl sein Galerist die Preise viel zu hoch angesetzt hatte. Er war in dieser Zeit mehr im Atelier als zu Hause. Der Galerist hatte gesagt, Hubert könne so viele von den Hausfrauenakten malen, wie er wolle, er würde sie verkaufen. Hubert mochte es nicht, wenn der Galerist die Bilder so nannte. Darum ging es nicht. Überhaupt fingen sie an, ihn zu langweilen. Technisch waren sie keine Herausforderung mehr, vielleicht waren die neuen sogar besser als die frühen, trotzdem fehlte ihnen die Kraft.
Dann kam die erste Mail von Julie. Hubert hatte seine Homepage vor ein paar Jahren eingerichtet, aber noch nie hatte ihn jemand darüber kontaktiert. Ihr Lob schmeichelte ihm. Sie fragte ihn nach seinen Vorbildern, nach seiner Arbeitsweise und weshalb er immer nur nackte Frauen male. Er schrieb zurück, er sei nicht auf Frauen fixiert, es handle sich bloß um einen Arbeitszyklus. Im Grunde seien die Frauenbilder eine logische Fortsetzung der leeren Räume. Julie glaubte ihm nicht.
Er schrieb nichts von seiner Freundin, vom Kind, das sie erwartete. Er fragte sie auch nicht nach ihren Lebensumständen. Ihre Mails waren nie ganz ernst, vor allem Julie schien mehr zu spielen als zu diskutieren. Hubert bekam ein immer klareres Bild von ihr, er war fast sicher, dass er sie erkennen würde, wenn er ihr begegnen sollte.
Als Julie ihn fragte, ob er sie malen würde, dachte er erst, es sei nur eins ihrer Spiele. Er zögerte und bat sie um ein Foto, aber er war nicht unglücklich, dass sie ihm keines schickte. Er hatte gemerkt, dass er seine ganze Energie auf den Mailwechsel mit ihr verwendete, und dachte, vielleicht könnte er diese Kraft in seine Arbeit einfließen lassen und die Lustlosigkeit überwinden, die ihn seit Monaten quälte. Sie war die einzige Person, die ihn
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