Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
warten lassen, aber dann wüssten sie sicher, wer der Täter war. Hoffentlich konnte er bis dahin alles unter Kontrolle halten.
*
Tessa warf einen Blick in den Backofen. Der Lasagne ging es gut. Sie hatte sich ein Glas Chardonnay eingegossen. Er schmeckte herrlich. Irgendetwas stimmte nicht mit Neumanns Daten. Und Gabriele Henke hatte das gewusst. Davon war Tessa inzwischen überzeugt. Ob Sascha kam? Bei ihm konnte man nie sicher sein. Aber er hatte neugierig geklungen, sodass er den Weg finden sollte. Wenn Neumann tatsächlich die Studiendaten gefälscht hatte, war das ein Skandal. Sie war nicht so naiv zu glauben, dass der Chefarzt ihr dafür auf den Rücken klopfte. Das war ihr egal. Sie wollte wissen, was Neumann für ein Spiel trieb. Sie sah sich um. Der Tisch war gedeckt. Der Laptop hochgefahren. Die Daten geladen, und alle Papiere lagen bereit. Als hätte ihr Bruder das gewusst, klingelte es in diesem Moment an der Haustür. Sie schaltete die Temperatur im Ofen runter und ging öffnen.
Sascha schlenderte die Stufen hoch, als ob er beim Schaufensterbummel wäre. Ach, Sascha, schoss es ihr bei seinem Anblick durch den Kopf. Nur um mich wissen zu lassen, wie unwichtig ich dir bin? Doch Tessa nahm sich vor, ihm heute Abend keinen Anlass für einen Streit zu bieten. Sie wollten arbeiten.
»Du kommst genau richtig. Essen ist bald fertig. Schön, dass du es geschafft hast!«
»Gut, ich habe mächtig Hunger. Schaust gut aus, Schwesterchen. Wie immer.« Er holte eine Flasche Wein unter seinem Trenchcoat hervor. »Mein Beitrag zum Festschmaus.« Er feuerte den Mantel auf das Sofa und steuerte direkt auf den Laptop zu. Ließ seinen Blick über die Papiere schweifen. Schob sie hin und her. Dann rieb er seine Hände aneinander, ließ sie kreisen und knacken wie ein Klavierspieler vor dem Konzert. Jetzt spielten sie virtuos auf der Computertastatur.
»Das ist eine schöne Rohdatenmatrix. Hübsch. Sehr hübsch. Und das Studienprotokoll. Interessant.«
Sascha schien richtig Freude daran zu haben, sich durch die Dateien zu klicken. Tessa kannte ihren Bruder gut genug, um zu wissen, dass er für die nächsten Augenblicke nicht ansprechbar war. Sie ging in die Küche und goss ein weiteres Glas Chardonnay ein. Als sie wieder zurückkam, blickte Sascha vom Bildschirm auf.
»Die Studie ist ja schon in Phase 3«, sagte er. »Wenn alles hinhaut, kann die Pharmafirma bald die Marktzulassung beantragen. Da steckt eine Menge Geld drin. Eine Riesenmenge Geld.«
Tessa stellte ihrem Bruder kommentarlos das Glas Weißwein hin. Das nahm er sofort und schnalzte nach einem Schluck anerkennend mit der Zunge. »Hast du ein paar Oliven dazu?«, fragte er.
»Es ist ein Antidepressivum auf Serotonin- und Noradrenalin-Basis. Es soll Duoxepin heißen«, sagte Tessa.
»Wie einfallsreich«, meinte Sascha ironisch. »Die Biopsychiater glauben, das Temperament wäre eine Sache von Neurotransmittern. Eine Prise Serotonin und Dopamin, gemischt mit etwas Noradrenalin … aber so einfach ist das nicht.«
»Ich bin kein Biopsychiater. Das weißt du. Ich bin …« Tessa kam nicht dazu, ihren Satz zu Ende zu sprechen.
»Die Idee ist ein alter Hut. Wieso ein neues Medikament? Wir haben genug selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Vom Noradrenalin will ich gar nicht erst anfangen.« Er wandte sich fragend um. »Oliven?«
»Ich habe keine Ahnung. Ist das wichtig?«
»Absolut. Oliven verstärken den guten Geschmack des Weines.«
Tessa stand wortlos auf und ging in die Küche.
»Die Pharmafirmen betreiben leider kaum noch Grundlagenforschung. Damit verlieren sie langsam ihre Kompetenz, innovative Produkte zu erfinden«, rief Sascha hinter ihr her. »Wenn ihr wieder nur ein Nachahmerprodukt habt, eine einfache Variante altbewährter Wirkstoffe, dann kann die Pharmafirma nur Geld scheffeln, wenn sie ein paar ausgefuchste Marketingstrategien hat.«
»Ich verstehe kein Wort«, sagte Tessa und stellte eine Schale mit schwarzen Oliven auf den Tisch. Auch wenn sie ihr Studium eigentlich ganz erfolgreich abgeschlossen hatte und sich für eine gute Ärztin hielt, vor Saschas Fachwissen kapitulierte sie regelmäßig. Es war fast schon unheimlich, wie gut er sich auskannte.
»Na, ich spreche von billigen Studien. Was in der Regel gefälschte oder bestenfalls manipulierte Studien meint. Ich spreche davon, Risikodaten zu verschweigen. Damit alle glauben, sie hätten die Wunderpille in der Hand.«
Tessa hob fragend eine Augenbraue. Und ihr Bruder ließ sich
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