Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
hören.«
»Brömme, stimmt’s? Dieser Wichtigtuer«, zischte Koster und wandte sich verärgert ab.
»Bevor Sie sich streiten: Sollte meine Mutter meinen Vater getroffen haben, hat sie ihn sicher nicht erpresst. Sie war nicht halb so sauer auf ihn wie ich. Warten Sie nur, bis ich den Mann in die Finger bekomme. Dann müssen Sie sich Sorgen machen.«
»Und wenn er sich von Ihrer Mutter bedroht fühlte?« Tessa sinnierte unbedacht vor sich hin. »Wenn sie irgendetwas von damals gegen ihn in der Hand hatte? Wer weiß?«
»Sie können ja vielleicht mit einer anderen Freundin meiner Mutter sprechen. Christine hat damals mit meiner Mutter Medizin studiert. Und im Gegensatz zu meiner Mutter ist sie heute Ärztin. In Berlin. Kinderärztin. Sie hatten noch sporadisch Kontakt.«
»Ich könnte nach Berlin fahren?« Tessa sah Torben an. »So von Kollegin zu Kollegin.«
Der Blick, den er ihr zuwarf, beantwortete ihre Frage mehr als deutlich.
*
Tessa war zurück an ihrem Schreibtisch, starrte aus dem Fenster in den bewölkten Himmel und rollte einen ihrer Donnerkeile in der Hand. In Gedanken verharrte sie bei der Beerdigung. Alba war also keine Frau, sondern ein Mann. Henkes Mann. Der Vater ihrer Tochter. Er war plötzlich aufgetaucht. Warum? Hatte er mit dem Mord zu tun? Plötzlich spürte Tessa wieder diesen Kloß im Hals. Ein Mord. Nicht irgendwo auf der Welt, sondern hier auf der Station. Ihrer Station. Mitten in ihrem Leben. Es war schrecklich.
Sie schloss die Augen und hatte plötzlich ein Bild vor sich. Torbens Hand auf ihrer. Es hatte sich ungewohnt angefühlt, ungewohnt und doch richtig. Sie war erschöpft. Es musste ein Ende haben. Torben musste herausfinden, was passiert war, damit endlich Ruhe einkehrte. Und dann …? Konnte sie einfach dort weitermachen, wo sie noch vor einer Woche gewesen war? Eine Woche nur und ihr kam es vor, als sei ihr bisheriges Leben auf den Kopf gestellt. Ihre Gefühle für Torben ließen sich nicht länger leugnen …
Jemand riss die Tür auf. Tessa hatte kein Klopfen gehört.
»Tessa, ich versuche seit zwei Tagen, dich zu erreichen. Wo bist du gewesen? Ich habe Nachrichten auf deinem Anrufbeantworter hinterlassen, dir Zettel geschrieben.« Pauls Stimme klang schneidend. »Herrgott, ich fühle mich schon wie ein verdammter Stalker!«
Tessa drehte sich zur Tür und sah, wie sein Ärger in Sprachlosigkeit umschlug. Sanft schloss er die Tür, kam langsam näher und deutete auf den Sessel. »Darf ich?«
Tessa nickte und stützte müde den Kopf auf die gefalteten Hände.
»Was ist passiert?«, fragte er.
»Ich komme gerade von der Beerdigung.«
»Hhm.« Er ließ sich tiefer in den Sessel rutschen.
»Es war sehr bewegend. Torben war auch da. Wir haben mit der Tochter gesprochen.« Sie seufzte.
»Hhm.«
»Wusstest du, dass Henke früher Medizin studiert hat?« Tessa nahm seinen fragenden Blick als Einladung an, weiterzuerzählen. »Die Verabredung mit Alba, erinnerst du dich? Auf der Vollversammlung wurde nach ihr gefragt. Alba war keine Freundin, sondern ihr damaliger Freund und Vater ihrer Tochter. Sie muss ihn wieder getroffen haben. Vielleicht ist er heute Arzt?«
»Alba?«
»Von Albert dem Großen. Egal. Vielleicht hat er Henke umgebracht!« Tessa fröstelte.
»Und wie kommst du darauf, dass er Arzt ist?«, fragte Paul. Das Entsetzen war ihm deutlich anzusehen.
»Darauf läuft es wohl hinaus. Bei allem, was in den letzten Tagen passiert ist. Isabell Drost nimmt sich das Leben, Henke wird ermordet, Philipp beklaut die Patienten …«
»Warte, warte, warte …« Er hielt eine Hand hoch, um sie zu stoppen. »Ich komme nicht mehr mit. Drost – doch Suizid? Bist du sicher? Und Philipp bestiehlt die Patienten?«
»Mathilde schmeißt ihn raus. Das hat sie mir gestern erzählt.«
»Wow!«
»Genau.« Tessa überlegte für eine Sekunde, ob sie ihm den Einbruch in Neumanns Büro beichten sollte. Sie wollte sich ihm anvertrauen, aber etwas hielt sie ab. Ein inneres Warnlicht leuchtete.
»Und was ist das mit dir und dem Kommissar?«
Tessa bewunderte, wie treffsicher Paul ihren wunden Punkt fand. Das tat er immer. Er kannte sie einfach schon zu lange und zu gut. Aber sie wollte jetzt nicht mit ihm darüber sprechen.
»Nichts. Ich versuche, eine ehemalige Freundin von Henke in Berlin aufzutreiben. Sie ist Kinderärztin. Vielleicht weiß sie, wer Alba ist und wo er sich aufhält.«
Er schnitt eine Grimasse. »Weich mir nicht aus. Was ist mit diesem Polizisten? Du hast ihn
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