Nacht ohne Ende
- sie hatte Katherines Geburt miterlebt, ihren ersten Atemzug, hatte ihren ersten Schrei gehört. Und trotzdem überraschte sie die Tiefe ihres Gefühls. »Kümmern Sie sich gut um sie.«
»Sie haben mein Wort darauf.«
Dr. Garrett nahm das Baby in Empfang und rannte mit ihm auf den wartenden Hubschrauber zu, dessen Rotoren sich bereits drehten und einen heftigen Wind erzeugten. Dr. Giles musste brüllen, um sich über den Lärm des Helikopters hinweg verständlich zu machen.
»Wie geht es der Mutter?«
»Nicht gut.« Tiel schilderte ihm in einer Kurzfassung die Wehen und die Geburt und beschrieb dann Sabras derzeitigen Zustand. »Der Blutverlust und die Infektionsgefahr machen Doc besonders große Sorgen. Sabra wird zunehmend schwächer. Ihr Blutdruck sinkt ständig ab, sagt er. Können Sie ihm auf Grund dessen, was ich Ihnen erzählt habe, irgendeinen Rat geben, was er tun soll?«
»Sie sofort in ein Krankenhaus schaffen.«
»Wir arbeiten noch daran«, erwiderte sie grimmig.
Der Mann, der in diesem Moment mit langen, zielstrebigen Schritten auf sie zukam, konnte nur Calloway sein. Er war groß und schlank und strahlte selbst in Hemdsärmeln noch Autorität aus. »Bill Calloway«, sagte er, als er vor Tiel und Dr. Giles stehen blieb, und bestätigte damit ihre Vermutung. Sie gaben sich die Hand.
Gleich darauf kam Gully in seinem O-beinigen Laufschritt auf Tiel zugehinkt. »Gott im Himmel, Mädchen, wenn ich nach dieser Nacht nicht an einem Herzinfarkt verrecke, werde ich ewig und drei Tage leben!«
Sie umarmte ihn fest. »Du wirst uns noch alle überleben.«
Am Rand der ständig wachsenden Gruppe bemerkte Tiel einen untersetzten Mann in einem weißen Cowboyhemd mit Perlmuttknöpfen. Er hielt einen Cowboyhut, ähnlich wie Docs, in den Händen. Bevor sie sich jedoch mit ihm bekannt machen konnte, wurde er von einem anderen Mann grob beiseite gestoßen.
»Miss McCoy, ich möchte mit Ihnen sprechen.«
Sie erkannte Russell Dendy auf Anhieb.
»Wie geht es meiner Tochter?«
»Sie liegt im Sterben.« Obwohl ihre Erklärung unnötig brutal erschien, konnte Tiel einfach kein Mitgefühl mit dem Millionär aufbringen. Außerdem blieb ihr gar nichts anderes übrig, als hart zuzuschlagen, wenn sie ein Loch in den Stahlpanzer dieses Mannes reißen wollte.
Kip stand im Hintergrund und nahm diese spannungsgeladene Konferenz mit seiner Videokamera auf. Der Punktscheinwerfer oben auf der Kamera war blendend hell. Zum ersten Mal in ihrer beruflichen Laufbahn empfand Tiel eine Aversion gegen dieses grelle Licht und die Verletzung der Privatsphäre, die es symbolisierte.
Ihre unverblümte Antwort auf seine Frage machte Dendy einen Augenblick lang sprachlos vor Bestürzung, was Calloway in die Lage versetzte, den anderen Mann in den Kreis zu ziehen und ihn mit Tiel bekannt zu machen. »Cole Davison, Tiel McCoy.« Die Ähnlichkeit zwischen Ronnie und seinem Vater war unverkennbar. »Wie geht es Ronnie?«, fragte er besorgt.
»Er ist fest entschlossen, Mr. Davison.« Bevor Tiel fortfuhr, blickte sie jeden der beiden Männer einen Moment lang eindringlich an. »Es ist diesen beiden jungen Leuten bitterernst mit dem, was sie sagen. Sie haben sich etwas geschworen, woran sie festhalten werden. J etzt, wo sie wissen, dass Katherine in Sicherheit ist und ärztlich versorgt wird, wird nichts sie davon abhalten, ihren Selbstmordpakt in die Tat umzusetzen.« Sie gebrauchte diese Worte ganz bewusst, um den Ernst und die Dringlichkeit der Lage zu unterstreichen.
Calloway wahrte seine professionelle Objektivität und sprach als Erster. »Sheriff Montez sagt, dieser Doc ist ein großer, muskulöser Mann. Könnte er Ronnie nicht einfach überwältigen und ihm die Pistole entreißen?«
»Und riskieren, dass noch jemand verletzt wird oder womöglich getötet?«, fragte sie rhetorisch. »Zwei Männer haben es vorhin schon mit Gewalt versucht. Ihr Versuch endete mit Blutvergießen. Ich glaube, ich kann diese Idee im Namen von Doc unbesorgt über den Haufen werfen. Er versucht schon seit einer Weile, Ronnie dazu zu überreden, diese Sache friedlich zu beenden. Er würde jeden Vorteil verlieren, den er sich dem Jungen gegenüber verschafft hat, wenn er plötzlich über ihn herfallen würde.«
Calloway strich sich mit einer Hand durch sein schütteres Haar und beobachtete, wie der Helikopter mit Dr. Garrett und dem Neugeborenen vom Boden abhob. »Die Geiseln sind nicht in Gefahr?«, fragte er.
»Das glaube ich nicht. Obwohl zwischen Ronnie
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