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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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in denen Nada vermutlich ihre Kleidung aufbewahrt. An der Tür zum Schlafzimmer hängt die Fotografie einer blauhaarigen, nackten, mit blauer Körperfarbe bemalten Frau, die Stacheldraht in den Händen hält.
    Â»Das war bei ihrer Friedensperformance«, sagt Patricia Lohmann und gähnt.
    Â»Das ist Nada?«
    Â»Na ja, so blau angemalt ist sie natürlich nicht immer, und ihre Haare sind momentan lila.«
    Eine Wand des Wohnraums ist verspiegelt, vielleicht, um ein wenig mehr Licht von der Fensterfront hereinzulotsen, wahrscheinlicher aber, weil Nada sich durchaus gern im Spiegel betrachtet. Auch Patricia Lohmann beginnt den Spiegel sofort zu nutzen und pult Kajalbröckchen aus ihren Augenwinkeln. Vor der beeindruckenden Stereoanlage liegt eine einsame CD-Hülle auf dem Boden. Aus dem schwarzen Cover leuchten Judith der helle nackte Arm und das Gesicht einer jungen Frau entgegen. Sie hebt die CD auf. Erst jetzt erkennt sie, dass sich die Frau an einen schwarzen Pferderücken schmiegt.
    Â»Was ist das?«, fragt Judith.
    Â»My brightest Diamond«, erklärt Patricia Lohmann. »Eine englische Sängerin. Hab ich Nada neulich geliehen, seitdem hat sie die CD fast ununterbrochen gehört, vor allem den einen Song, warten Sie«, sie nimmt die Plastikhülle, dreht sie um. »Ja, den hier:
We Were Sparkling.
Du meine Güte, glauben Sie, dass das etwas zu bedeuten hat?«
    Â»Was glauben Sie?«
    Â»Keine Ahnung. Nada hört ständig Musik, wenn sie arbeitet. Sie sagt, das braucht sie zur Inspiration. Und bei ihren Performances ist Musik natürlich auch sehr wichtig.«
    Judith notiert den Namen der Musikerin, legt die leere CD-Hülle wieder auf den Boden. Nirgendwo in der Wohnung liegt ein Zettel mit einem Hinweis auf Nadas Aufenthaltsort. Auf dem Arbeitstisch thront ein weißes Apple-Notebook. Der Anrufbeantworter blinkt. Unwillkürlich streckt Judith die Hand aus.
    Â»Hey, das ist aber privat.« Patricia Lohmann nimmt ihren Job als Hüterin von Nadas Heim ernst.
    Â»Und Sie haben wirklich keine Idee, wo Ihre Nachbarin gerade sein könnte?«
    Die Studentin zieht die Schultern hoch. »Sie klinkt sich manchmal aus. Ist doch verständlich, sie stand ja in letzter Zeit ganz schön unter Strom.«
    Â»Warum?«
    Â»Na, wegen der Ausstellung und dem Preis, den sie gewonnen hat, und dem ganzen Pressetrara.«
    Â»Nur deswegen?«
    Â»Haben Sie schon mal Stress mit der Presse gehabt? Die können ganz schön lästig sein.«
    Judiths Handy meldet sich einmal mehr, und diesmal nimmt sie den Anruf an, weil sie die Nummer auf dem Display nur allzu gut kennt.
    Â»Du rätst nie, was meine verehrte neue Kollegin entdeckt hat, das könnte ein echter Durchbruch sein«, verkündet der Rechtsmediziner Karl-Heinz Müller bestens gelaunt. »Kannst du sofort kommen? Manni ist schon da.«
    * * *
    Ekaterina Petrowa steht vor dem Spiegel im Umkleideraum des Rechtsmedizinischen Instituts, reglos, ohne ihr Ebenbild wirklichzu sehen. Die Möglichkeit, dass die junge Komapatientin aus Russland kommt, hat sie durcheinandergebracht. Der wissenschaftlich weder erklärbare noch messbare Eindruck, dass die Patientin sich entspannt und sie versteht, wenn sie russisch mit ihr spricht. Ekaterina zwingt ihren Blick zurück in die Gegenwart, starrt sich in die dunkelbraunen Augen. Denk nicht daran, denk nicht an Russland, zieh dich fertig um und konzentrier dich auf die bevorstehende Leichenschau. Doch die Bilder von der Insel sind heute hartnäckig und lassen sich nicht verscheuchen. Solowetzkij. Die Insel im weißen Meer. Am Ende des Meers, hat sie früher gedacht.
    Ekaterina hat ihre ersten fünf Lebensjahre mit ihren Eltern auf dieser Insel verbracht. Es gab dort eine riesige Klosteranlage mit Zwiebeltürmen und meterdicken Schutzmauern. Man sah sie von den meisten Punkten der Insel aus, und wenn man mit dem Boot hinausfuhr, wirkte es manchmal so, als sei die Klosteranlage nicht ganz von dieser Welt und schwebe über der Insel. Aber so etwas sollte man nicht sagen, ja am besten erwähnte man nicht mal, dass es sich bei dem majestätischen Gebäude überhaupt um ein Kloster handelte, denn Klöster, Kirchen und Gott gehörten zu einer anderen Zeit. Die Glocken der Kirchen schlugen nie. Es gab auch keine Mönche und Priester mehr. Die Armee hatte das Kloster eine Zeit lang genutzt. Dann die Bauern, die ihr mageres Vieh in die

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