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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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profitieren?«
    Â»Nicht ich.« Judith tippt auf das Foto. »Sie.«
    Schalk blitzt in Cornelia Offingers Augen, sie unterdrückt ein Lächeln. »Du hättest als Anwältin wirklich eine Menge erreichen können.«
    Â»Ich verspreche dir, dass ich ohne eure Einwilligung keine Namen preisgeben werde.«
    Â»Lass mich darüber nachdenken«, sagt die Frauen-für-Frauen-Chefin. »Ja, ja, ich weiß«, fügt sie schnell hinzu, als Judith protestieren will. »Jede Stunde zählt.«
    Â»Danke, Cora.« Judith schreibt ihre Privat- und Handynummer auf eine Visitenkarte. »Ruf mich bitte an. Jederzeit.«
    Â»Versprich dir nicht zu viel.«
    * * *
    ARDS.
Lungenversagen.
Acute Respiratory Distress Syndrom.
Ekaterina presst den Telefonhörer auf die Gabel. Noch in der Mittagspause ist sie im Krankenhaus gewesen und hat dem Mädchen einen Walkman mit russischen Musikkassetten gebracht. Tatjana und Sergej. Ein Versuch zu trösten, denn auch wenn nicht eindeutig erwiesen ist, dass Komapatienten äußere Reize wahrnehmen, ist es nicht hundertprozentig auszuschließen. Ganz vorsichtig hat Ekaterina die Kopfhörer in dem vomlangen Liegen verfilzten blonden Haar zurechtgerückt. Ein Flackern der Augenlider war die Antwort, so minimal, dass Ekaterina schon Sekunden später nicht mehr sicher war, ob sie es überhaupt gesehen hatte. Trotzdem hatte sie es als Zeichen der Besserung interpretiert. Sie geht zum Fenster, presst die Stirn an die Scheibe, starrt in die aufziehende Dämmerung über dem Friedhof. Musikkassetten gegen den Tod, wie lächerlich das ist.
    Â»Hallo, Katja.«
    Eine Frauenstimme. Ihr russischer Kosename. Ekaterina fährt herum. Erkennt einen Schatten in der Tür ihres Arbeitszimmers. Einen der Schatten, die sie schon den ganzen Tag verfolgen. Eine Frau. Ines. Nein, nicht Ines. Die Kommissarin Judith Krieger.
    Â»Ich wollte dich nicht erschrecken, ich habe geklopft«, sagt sie. »Hast du ein paar Minuten Zeit für mich?«
    Â»Ich habe nichts gehört.« Ekaterina strafft die Schultern, tappt zu ihrem Schreibtisch und knipst die Arbeitslampe an. Die Kommissarin muss sie für verrückt halten. Steht in der Dunkelheit am Fenster, statt zu arbeiten, hört das Klopfen nicht. Sie geht zum Waschbecken, füllt den Wasserkocher. Ihre Hände zittern, merkt sie auf einmal. Sie schaltet den elektrischen Kessel an, versteckt die Hände hinter ihrem Rücken. Zwingt sich, die Kommissarin anzusehen, die heute anders wirkt, nicht mehr so sehr von oben herab.
    Â»Die Komapatientin. Eben kam ein Anruf aus dem Krankenhaus«, sagt Ekaterina.
    Â»Was ist mit ihr?« Judith Krieger geht ein paar hastige Schritte auf Ekaterina zu.
    Â»Lungenversagen.«
    Die Kommissarin wendet sich zum Aktenschrank, lehnt sich mit dem Rücken dagegen, beinahe wirkt es so, als suche sie Halt. Ein Schatten huscht über ihr blasses Gesicht, als sie den Kopf zu Ekaterina dreht. »Sie hat es also nicht geschafft.«
    Â»Die Ärzte geben noch nicht auf«, sagt Ekaterina rau.
    Â»ARDS
ist als Folge einer schweren Rauchvergiftung keine Seltenheit. Ein Kollaps des Atemsystems. Sie haben die Lunge intubiert, beatmen sie weiter. Sie haben die Patientin in ein spezielles Bewegungsbett verlegt, was verhindern soll, dass sich Wasser in ihren Lungen sammelt. Aber sie ist natürlich sehr geschwächt, und hinzu kommt die nicht ausgeheilte Tbc …«
    Â»Wie groß ist ihre Chance, was glaubst du?«
    Das Teewasser beginnt zu brodeln, und unwillkürlich starren sie beide auf die Dampfwölkchen, die aus dem Elektrokessel steigen. »Ich weiß es nicht«, sagt Ekaterina, als der Kessel sich abschaltet. »Manchmal gibt es Wunder.«
    Sie kratzt die alten Blätter aus der Teekanne in den Abfalleimer. Ihre Hände gehorchen ihr wieder, bemerkt sie mit Erleichterung. Aber die Angst ist geblieben. Die Angst, etwas Unberechenbarem ausgeliefert zu sein, wie damals auf der Insel im weißen Meer. Sorgfältig spült sie die Kanne aus, löffelt frischen Tee hinein, gießt das Wasser auf.
    Â»Ich war heute bei Frauen für Frauen«, sagt Judith Krieger. »Ich habe die Leiterin gebeten, ihre Kontakte zu ihren Kolleginnen einzusetzen, die mit Menschenhandelsopfern arbeiten, damit die sich nach unserer russischen Patientin umhören.«
    Â»Es ist nicht sicher, dass sie aus Russland stammt«, sagt Ekaterina

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