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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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war ein Motorboot vertäut. Ein Mann in Monteursanzug und Mütze erschien auf dem Deck und gab ihnen Zeichen. Nancy schloß daraus, daß die Goose neben dem Motorboot festmachen sollte. Die Tür im Bug des Clippers stand offen und diente wohl als Eingang. Nancy sah auch gleich, warum: Die Wellen überspülten die Seeflügel; der Zugang durch die normale Tür war daher so gut wie versperrt.
    Ned manövrierte das Wasserflugzeug näher an das Boot heran, was bei dem Wellengang keine leichte Aufgabe war. Die Goose war jedoch ein Eindecker mit hochangesetzten Flügeln, die die Aufbauten des Bootes weit überragten. Sie konnten neben dem Boot beidrehen und warten, bis der Rumpf an die Gummireifen vor der Bordwand stieß. Der Mann an Deck vertäute das Flugzeug vorne und hinten an seinem Boot.
    Während Ned die Motoren abschaltete, ging Mervyn nach achtern, öffnete die Tür und ließ die Gangway hinunter.
    »Ich bleibe wohl besser bei meiner Maschine«, sagte Ned zu Mervyn. »Schauen Sie mal nach, was da los ist.«
    »Ich komme mit«, erklärte Nancy.
    Da das Wasserflugzeug mit dem Motorboot vertäut war, hoben und senkten sie sich im Gleichtakt auf den Wellen, und die Gangway bewegte sich kaum. Mervyn stieg zuerst aus und reichte Nancy die Hand.
    Als sie beide an Deck waren, fragte Mervyn den Mann an Bord: »Was ist passiert?«
    »Sie hatten Probleme mit dem Treibstoff und mußten runterkommen«, erwiderte er.
    »Ich konnte sie per Funk nicht erreichen.«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Sie gehen wohl besser an Bord.«
    Um vom Boot auf den Clipper zu gelangen, mußte man vom Deck auf die Plattform springen, die durch die geöffnete Bugtür gebildet wurde. Wieder ging Mervyn voran. Nancy zog ihre Schuhe aus, stopfte sie in ihre Manteltaschen und folgte ihm. Sie war zwar ein bißchen nervös, aber der Sprung war einfacher als gedacht.
    Im Bug stand ein junger Mann, den sie nicht kannten.
    »Was ist passiert?« fragte Mervyn.
    »Notlandung«, entgegnete der junge Mann. »Wir waren gerade beim Angeln und haben alles mitgekriegt.«
    »Und was ist mit dem Funkgerät?«
    »Keine Ahnung.«
    Eine Leuchte ist der Knabe gerade nicht, konstatierte Nancy für sich. Mervyn mußte das gleiche gedacht haben, denn er sagte ungeduldig: »Ich red‘ besser mit dem Captain.«
    »Hier lang – sie sind alle im Speisesaal.«
    Für eine Angelpartie ist der Junge nicht sehr passend angezogen, dachte Nancy amüsiert: zweifarbige Schuhe, gelbe Krawatte … Sie folgte Mervyn die Leiter zum Flugdeck hinauf, das völlig verwaist war. Deswegen hatte Mervyn über Funk niemanden erreichen können. Aber warum befanden sich alle Besatzungsmitglieder im Speisesaal? Es war schon merkwürdig genug, daß die gesamte Besatzung das Flugdeck verlassen hatte.
    Ein gewisses Unbehagen beschlich sie, als sie die Treppe zum Passagierdeck hinunterging. Mervyn, der auf dem Weg ins Abteil zwei ein paar Schritte vorausging, blieb unvermittelt stehen.
    Nancy sah an ihm vorbei und erblickte Mr. Membury. Er lag in einer Blutlache. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und unterdrückte einen Schrei des Entsetzens.
    »Um Himmels willen, was ist denn hier los?« fragte Mervyn.
    Hinter ihnen ließ sich der junge Mann mit der gelben Krawatte vernehmen: »Vorwärts, marsch.« Seine Stimme hatte einen harten Klang.
    Nancy drehte sich um und sah, daß er eine Pistole in der Hand hielt. »Waren Sie das?« fragte sie wütend.
    »Halt‘s Maul und geh weiter!«
    Sie erreichten den Speisesaal.
    Dort standen drei weitere Männer mit Pistolen in der Hand. Ein großer Mann im Nadelstreifenanzug, der so aussah, als sei er der Boß, und ein kleiner Mann mit verschlagenem Gesichtsausdruck, der hinter Mervyns Frau stand und sich an ihren Brüsten zu schaffen machte. Mervyn stieß einen verhaltenen Fluch aus. Bei dem dritten Bewaffneten handelte es sich um einen Passagier: Es war Mr. Luther, und er richtete seine Pistole auf Professor Hartmann. Außerdem waren Captain Baker und der Ingenieur anwesend; beide wirkten eher hilflos. Einige Passagiere saßen an den Tischen, aber das Geschirr und die Gläser waren auf den Boden gefallen und zerbrochen. Nancy erblickte Margaret Oxenford. Bleich und verängstigt saß sie an ihrem Platz. Was habe ich kürzlich zu ihr gesagt? dachte Nancy. Gewöhnliche Sterbliche brauchen sich keine Sorgen um Gangster zu machen, weil diese nur in Elendsvierteln operieren … Ganz schön dumm!
    »Die Götter sind auf meiner Seite, Lovesey«, sagte Luther. »Wir brauchen

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