Nacht über Eden
blickte auf das Tablett hinunter. Da stand ein Glas Orangensaft und heiße Hafergrütze mit etwas darauf, das wie Honig aussah. Daneben sah ich eine trockene Scheibe Toast und ein Glas Magermilch. Rye Whiskey hatte dieses Frühstück bestimmt nicht zubereitet. Tony mußte früh aufgestanden sein und alles selbst gemacht haben. Als er jetzt in seiner ganzen Länge vor mir stand, dachte ich, daß ich trotzdem essen sollte, um wieder etwas Energie zu bekommen. Ich trank den Saft und aß einige Löffel von dem Haferbrei. Der Toast schmeckte wie ein Stück Pappe, aber ich spülte ihn mit ein paar Schluck Milch hinunter. Tony nickte, sein irres Lächeln schien auf seinem Gesicht festgefroren zu sein.
Als ich fertig war und mich zurücklehnte, nahm er das Tablett und den Tisch fort.
»So«, sagte er, »jetzt fühlst du dich bestimmt schon viel besser, nicht wahr? Soll ich dich jetzt mit ein wenig Massageöl einreiben?« fragte er.
»Nein«, sagte ich so abweisend, wie ich konnte.
»Nein? Weil du dich schon viel besser fühlst?«
»Ja«, sagte ich unter Tränen. »Bitte, bitte, bring mir jetzt meinen Rollstuhl.«
»Nach deinem Morgenschläfchen werden wir weitersehen«, sagte er. Dann ging er zum Schrank und holte ein rotes Nachthemd heraus, das er mir ebenfalls mitgebracht hatte, als ich im Krankenhaus in Boston lag. »Du solltest ein frisches Nachthemd anziehen. Ich glaube, dies hier steht dir gut, findest du nicht auch? Scharlachrot hat mir schon immer an dir gefallen.« Er brachte es mir ans Bett. Ich saß da, bis zu meinem Hals fest in die Decke gewickelt. »Nun mach schon.
Ein frisches Nachthemd wird dir guttun.«
Ich hatte den Eindruck, daß er nicht gehen würde, ehe ich das rote Nachthemd anhatte, und so nahm ich es. Er trat zurück und sah mir zu, wie ich das eine Nachthemd auszog und so rasch wie möglich in das andere schlüpfte.
»Na, ist das nicht angenehm?«
»Doch«, sagte ich, denn ich hatte keine Lust, ihm zu widersprechen. Meine Angst war noch größer geworden, denn statt mich nach dem Frühstück wach und kräftig zu fühlen, war ich urplötzlich wieder sehr müde und schläfrig. Seine Stimme schien auf einmal weit entfernt.
»Ich möchte… ich möchte…«
»Du möchtest schlafen. Ich weiß. Das habe ich erwartet. Du brauchst Ruhe.« Er hob die Decke hoch und wickelte sie um mich wie eine Zwangsjacke.
»Nein… ich…«
»Schlaf, Annie. Schlaf, und es wird dir gleich viel besser gehen, wenn ich zurückkomme. All diese lächerlichen Alpträume werden verschwunden sein, wenn du wieder aufwachst.«
Ich versuchte zu sprechen, aber er gelang mir nicht mehr, die Worte zu formulieren. Meine Lippen waren wie zugenäht.
Nach wenigen Augenblicken war ich erneut eingeschlafen. Der letzte Gedanke, den ich noch fassen konnte, war, daß er mir ein Schlafmittel ins Frühstück gemischt haben mußte.
Als ich wieder erwachte, hatte ich keine Ahnung, welche Tageszeit es war. Langsam – es schien eher Stunden als Minuten zu dauern – gelang es mir, die Decke eine wenig wegzuziehen und es mir auf dem Kissen bequem zu machen.
Ich lag da, atmete schwer, und mein Herz raste.
Dann sah ich, daß es beinahe zwölf Uhr war. Meine Schlafzimmertür war noch immer geschlossen, aber die Fenster standen offen, und eine kühle, erfrischende Brise wehte herein. Ich ließ sie mir ins Gesicht wehen und sehnte mich danach, wieder hinauszugehen. Auf einmal, – zunächst ganz schwach, dann, als ich mich darauf konzentrierte, stärker und stärker – hörte ich eine vertraute Stimme. Sie kam von unten… von draußen vor dem Haupteingang.
»Luke!«
Ich hörte auch Tonys Stimme.
Ich konzentrierte mich ganz darauf, meine Kraft in meine Beine zu lenken, und schwang sie über die Bettkante. Doch sie halfen mir kein bißchen. Die Kraft, die ich erst kürzlich zurückgewonnen hatte, war wie weggeblasen. Tony mußte mir irgend etwas gegeben haben, das sie betäubt hatte…
»Luke!« Ich schrie so laut ich nur konnte. Meine Stimme hallte in dem leeren Raum wider. Ich ließ mich auf den Boden fallen und sackte zusammen wie ein Kleid, das vom Bügel gerutscht war. Ich rappelte mich auf und begann mich –
angespornt von Lukes Stimme – zum Fenster vorzukämpfen, indem ich meinen Körper zog und schob, so gut ich konnte.
Langsam gelang es mir, ein paar Worte zu verstehen.
»Aber sie bestand darauf, daß ich komme«, hörte ich Lukes Stimme sagen.
»Sie darf noch keinen Besuch empfangen.«
»Warum hat sie
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