Nacht über Juniper
dies mit beträchtlichem Augenzwinkern auf, bis ich ihm sagte, daß sie das gleiche schon frü- her während des langen Rückzugs und der zahlreichen Scharmützel, die die Hauptarmee der Rebellen schließlich an die Tore von Charm brachten, getan hatte. Eigentlich wollte er mir nicht glauben, aber er wagte es nicht, mir nicht zu glauben. »Dann raus mit euch, und treibt mir diesen Asa auf«, sagte er. »Candy, heute nacht ziehen wir auf diesem Schiff ein. Croaker, du gibst das weiter. In vier Tagen ziehen wir ab, ob ihr Raven bis dahin gefunden habt oder nicht.«
Ich stotterte einen Protest. Das Wichtigste war doch, daß wir jetzt Darling fanden. Darling war unsere einzige Hoffnung. Ich fragte: »Warum in vier Tagen?« »Wir haben vier Tage gebraucht, um von Juniper hierher zu segeln. Die ganze Zeit hatten wir guten Wind und gute See. Wenn die Lady losgefahren ist, nachdem du ihr Angebot abge- lehnt hast, dann kann sie kaum schneller hier sein. Also gebe ich dir diese Frist. Dann geht’s aufs Meer. Und wenn wir uns durchschlagen müssen.« »In Ordnung.« Es gefiel mir nicht, aber er war derjenige, der die Entscheidungen traf. Dafür hatten wir ihn gewählt. »Hagop, bring mir Kingpin her. Wir suchen nach Asa.« Hagop sauste ab, als ob ihm der Schwanz in Flammen stünde. Innerhalb von Minuten brach- te er Kingpin an, und Kingpin meckerte herum, weil er noch nichts gegessen und keine acht Stunden Schlaf bekommen hatte.
»Halt den Mund, King. Unser Arsch hängt in der Zwinge.« Ich gab Erklärungen ab, obwohl es nicht nötig war. »Greif dir was Kaltes und iß unterwegs. Wir müssen Asa finden.« Hagop, Kingpin, Einauge und ich marschierten los. Wie immer lenkten wir die Aufmerk- samkeit der Morgenmarktbummler auf uns, nicht nur, weil wir aus Juniper gekommen waren, sondern auch, weil Einauge hervorstach. In Meadenvil hatte man noch nie einen schwarzen Mann gesehen. Die meisten Menschen hatten noch nie von Schwarzen gehört. Kingpin führte uns eine Meile weit durch gewundene Straßen. »Ich denke mal, daß er sich in der selben Gegend verkriecht wie zuvor. Er kennt sich dort aus. Er ist auch nicht besonders schlau, also wird es ihm nicht einfallen, sich abzusetzen, nur weil ihr in die Stadt gekommen seid. Wahrscheinlich will er sich bloß bedeckt halten, bis wir wieder verschwinden. Er denkt
sich sicher, daß wir bald wieder abziehen.«
Seine Gedanken klangen vernünftig. Und das waren sie auch. Er sprach mit ein paar Leuten, die er im Zuge seiner vorherigen Nachforschungen getroffen hatte, und stellte rasch fest, daß sich Asa in der Tat in der bewußten Gegend versteckte. Allerdings wußte niemand, wo genau er sich aufhielt.
»Das finden wir doch ruckzuck heraus«, sagte Einauge. Er setzte sich auf eine Türschwelle und vollführte einige magische Kunststücke, die hauptsächlich aus Rauch und Feuer be- standen. Was natürlich die Aufmerksamkeit der Straßenkinder in der Nähe auf sich zog. Mea- denvils Straßen sind Tag und Nacht mit Kindern vollgestopft. »Wir verziehen uns«, sagte ich zu den anderen. Für Kinderaugen mußten wir furchteinflö- ßend wirken. Wir gingen weiter die Straße hinauf und ließen Einauge sein Publikum um sich sammeln.
Er gab den Kleinen für ihre Dienste etwas zu sehen. Natürlich. Und fünfzehn Minuten später schloß er mit einem Rattenschwanz von Kindern wieder zu uns auf. »Alles klar«, sagte er. »Meine kleinen Freunde werden uns den Weg zeigen.« Manchmal versetzt er mich wirklich in Erstaunen. Ich hätte darauf gewettet, daß er Kinder haßt. Ich meine, wenn er sie überhaupt erwähnt, was so ungefähr alle Jubeljahre einmal pas- siert, dann eigentlich nur in dem Zusammenhang, ob sie gegrillt oder gekocht besser schmek- ken.
Asa hatte sich in einen Schuppen zurückgezogen, wie es typisch war für die Elendsviertel auf der ganzen Welt. Eine echte Brand- und Rattenfalle. Daß er an Geld gekommen war, hatte seine Gewohnheiten offenbar nicht sonderlich verändert. Ganz im Gegensatz zum alten Shed, der immer durchgedreht hatte, wenn er Geld zum Verpulvern besaß. Es gab nur einen Ausgang, nämlich den, durch den wir hereinkamen. Die Kinder folgten uns. Es paßte mir nicht, aber was konnte ich schon dagegen tun? Wir drängten uns in das Zimmer, das Asa sein Zuhause nannte. Er lag auf einer Koje in der Ecke. Ein anderer Mann, der nach Wein stank, lag in einer Pfütze seines Erbrochenen in der Nähe. Asa hatte sich zusammengerollt und schnarchte. »Zeit zum Aufstehen, Schatz.« Ich
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