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Nacht über Juniper

Titel: Nacht über Juniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
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Unterworfenen ging. Im Laufe der Zeit kann man sich an einige Leute dermaßen gewöhnen, daß man schon fast ihre Gedanken lesen kann.

DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
Juniper: Das Scharmützel
    Nach dem Besuch des Hauptmanns änderte sich einiges. Die Männer wurden wachsamer. Elmos Einfluß nahm zu, und meiner schwand. Die Vorhut der Schar zeichnete sich nun durch einen weniger unentschlossenen und unbeugsameren Ton aus. Jeder Mann war bereit, sich innerhalb von Augenblicken in Marsch zu setzen. Die Verständigung verbesserte sich dramatisch, während die Zeit zum Schlafen auf schmerzhafte Weise abnahm. Keiner von uns wußte länger als zwei Stunden über etwas nicht Bescheid. Und Elmo fand Gründe, um jeden von uns mit Ausnahme seiner eigenen Person aus Duretile an Orte zu versetzen, an denen die Unterworfenen uns nur schwer finden würden. Am Hang zur Schwarzen Burg wurde Asa mein Mündel. Die Spannung stieg. Ich kam mir vor wie ein Mitglied einer Hühnerschar, die bereit ist, so- fort auseinanderzuflattern, falls ein Fuchs zwischen ihnen landet. Ich versuchte mein Unbeha- gen dadurch abzubauen, daß ich die Annalen wieder auf den neuesten Stand brachte. Ich hatte sie schandbar vernachlässigt und selten mehr getan, als nur einige Notizen zu machen. Als mir die Spannung zuviel wurde, spazierte ich den Hügel hinauf, um die Schwarze Burg anzustarren.
Es war ein absichtlich eingegangenes Risiko, wie das eines Kindes, das auf einen Baum klet- tert, der über einen tödlichen Abgrund ragt. Je näher ich der Burg kam, desto mehr kon- zentrierte ich mich auf sie. In zweihundert Metern Entfernung verschwanden alle anderen Gedanken. Ich spürte das Grauen dieses Ortes bis in die Fußspitzen und in die Untiefen mei- ner Seele. Auf eine Entfernung von zweihundert Metern verspürte ich, was es bedeuten muß- te, wenn der Schatten des Dominators die Welt verdunkelte. Ich spürte das, was die Lady fühlte, wenn sie über die mögliche Auferstehung ihres Gemahls nachdachte. Jede Gefühlsre- gung wurde von einem Hauch der Verzweiflung umsäumt. In gewisser Hinsicht war die Schwarze Burg mehr als nur eine Pforte, aus der das große alte Weltenübel wieder auftauchen mochte. Sie war eine Konkretisierung sinnbildlicher Begriffe und ein lebendiges Symbol. Sie tat das gleiche wie eine große Kathedrale. Ebenso wie eine Kathedrale war sie weit mehr als nur ein Gebäude. Wenn ich auf ihre Obsidianmauern und ihre grotesken Verzierungen starrte und mich dabei an Sheds Geschichten erinnerte, kam ich niemals umhin, in den Schlammtümpel meiner eige- nen Seele einzutauchen und dort nach der grundlegenden Anständigkeit zu suchen, die ich während der meisten Zeit meines Erwachsenenlebens links liegen gelassen hatte. Wenn man so will, war diese Burg ein moralischer Markstein. Wenn man ein Gehirn besaß. Wenn man auch nur die geringste Empfindsamkeit besaß. Manchmal begleitete mich Einauge, Goblin, Elmo oder einer der anderen Männer. Keiner von ihnen verließ den Ort ungerührt. Sie standen dort bei mir, gaben Gemeinplätze über die Konstruktion von sich oder sprachen ernste Worte über ihre Bedeutung für die Zukunft der Schar, und währenddessen rührte sich etwas tief in ihnen.
    Ich glaube nicht an das absolute Böse. An anderer Stelle in den Annalen habe ich diese Phi-
losophie schon einmal ausgeführt, und sie wirkt sich auf alle meine Beobachtungen während meines Dienstes als Chronist aus. Ich glaube an unsere Seite und an ihre, und daß über Gut und Böse nach der Schlacht von den Überlebenden entschieden wird. Bei den Menschen fin- det man selten das Gute mit einem Maßstab und die Finsternis mit einem anderen. Während unseres Krieges gegen die Rebellen vor acht oder neun Jahren dienten wir der Seite, die als die Finsternis angesehen wurde. Dennoch sahen wir die Anhänger der weißen Rose weit mehr Abscheulichkeiten begehen als die Gefolgsleute der Lady. Die Schurken dieses Stückes machten aus ihrer Rolle wenigstens keinen Hehl. Die Welt weiß, woran sie mit der Lady ist. Es sind die Rebellen, deren Ideale und Moralvor- stellungen den Tatsachen widersprechen, so wandelbar wie das Wetter und so biegsam wie eine Schlange werden.
Aber ich schweife ab. Die Schwarze Burg verleitet einen dazu. Bringt einen dazu, sich von den ganzen Seitenwegen und Sackgassen und falschen Spuren abzuwenden, die man sich im Laufe des Lebens erbaut hat. Sie bringt einen dazu, die eigene Einstellung zu überdenken. Sie bringt einen dazu, irgendwo einen

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