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Nacht über Juniper

Titel: Nacht über Juniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Cook
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Standpunkt beziehen zu wollen, und sei es auch einer auf der schwarzen Seite. Sie bringt einen dazu, von der eigenen wandelbaren Moral die Nase voll zu haben.
Ich vermute mal, daß Juniper deshalb vorgab, daß dieser Ort gar nicht existierte. Er war et- was Absolutes, das nach etwas Absolutem in einer Welt verlangte, die Relativitäten vorzieht. Oft war Darling in meinen Gedanken, wenn ich unter diesen schwarzen schimmernden Wäl- len stand, denn wenn ich hier oben war, dann war sie das Gegenstück zu der Schwarzen Burg. Der weiße Pol, der im absoluten Gegensatz zu dem stand, was die Schwarze Burg symboli- sierte. Seit ich erkannt hatte, was sie war, hatte ich mich nicht häufig in ihrer Nähe aufgehal- ten, aber ich erinnerte mich daran, daß ich auch von ihr moralisch erschüttert gewesen war. Ich fragte mich, was für eine Wirkung sie jetzt auf mich haben mochte, nachdem sie heran- gewachsen war.
Laut Sheds Aussage hatte sie nicht so eine Aura wie diese Burg. Hauptsächlich war er daran interessiert gewesen, sie ins Bett zu kriegen. Und Raven hatte keinen puritanischen Neigungen angehangen. Wenn überhaupt, dann war er noch tiefer in die Finsternis geglitten – allerdings aus den höchsten Beweggründen. Vielleicht lag hierin eine Botschaft. Eine Betrachtung über die Mittel zum Zweck. Hier war Raven, der mit der pragmatischen Amoral eines Höllenfürsten Untaten begangen hatte, nur damit er das Kind retten konnte, das die größte Hoffnung der Welt gegen die Lady und den Dominator darstellte.
Ach, wäre es nicht wunderbar, wenn die Welt und ihrer Sitte Fragen gleich einem Spielbrett wären, auf dem nur schwarze Spieler und weiße sich befänden, mit Regeln felsenfest und ohn’ ein jedes Grau.
Sogar Asa und Shed konnte ich dazu bringen, die Aura dieser Burg zu fühlen, wenn ich sie am Tag hierherbrachte und sie auf diese grausigen Mauern blicken ließ. Besonders Shed.
Shed hatte einen Punkt erreicht, an dem er sich ein Gewissen und Unsicherheit leisten konn-
    te. Ich meine, er war jene finanziellen Schwierigkeiten los, die ihn vorher geplagt hatten, und
er konnte sich auch nicht in ein selbstgegrabenes Loch verkriechen, weil wir ihn genau im Auge behielten; also konnte er über seinen Platz im Leben nachdenken und sich selbst ankot- zen. Mehr als einmal brachte ich ihn zu der Burg hinauf und sah zu, wie der tiefvergrabene Funken der Anständigkeit aufflammte und ihn auf eine Streckbank innerer Qualen spannte.
    Ich weiß nicht, wie Elmo es fertigbrachte. Vielleicht verzichtete er einige Wochen lang auf Schlaf. Aber als die Schar aus den Wolanderbergen herabstieg, hatte er einen vollständigen Besatzungsplan vorbereitet. Sicher, der Plan wies einige grobe Stellen auf, aber er war besser, als jeder von uns es erwartet hätte.
Ich hielt mich gerade im Stiefel auf, in Sheds Eiserner Lilie, als die ersten Gerüchte das Flußufer durchtobten und größere Verwirrung stifteten, als ich es je erlebt hatte. Sheds Nach- bar, der Holzverkäufer, kam in die Lilie gestürzt und verkündete: »Aus dem Paß kommt ein ganzes Heer! Ausländer! Tausende! Man sagt…« Im Laufe der nächsten Stunde brachten ein Dutzend Kunden die gleiche Nachricht. Jedes Mal war die Armee größer und ihre Absicht geheimnisvoller geworden. Niemand wußte, was die Schar hier wollte. Verschiedene Zeugen schrieben ihr Beweggründe zu, die den eigenen Befürchtungen entsprachen.
Wenige kamen der Wahrheit auch nur nahe. Obwohl der lange Marsch die Männer erschöpft hatte, verteilten sie sich doch rasch über die Stadt, wobei die größeren Truppenteile von Elmos Männern angeleitet wurden. Candy brachte eine auf mehr als Kompaniestärke aufgestockte Truppe in den Stiefel. Wir haben festgestellt, daß von den schlimmsten Elendsvierteln immer die ersten Aufstände ausgehen. Es gab nur wenige gewalttätige Zusammenstöße. Die Bürger von Juniper waren völlig überrascht worden und hatten sowieso keine Ahnung, warum sie eigentlich kämpfen sollten. Die meisten gingen nur auf die Straße, um sich das Spektakel anzusehen. Ich schloß mich wieder meiner Abteilung an. Wenn die Unterworfenen irgend etwas vorhat- ten, dann würden sie es jetzt tun.
Nichts geschah. Das hätte ich mir auch denken können, weil die Männer unseres Vortrupps die Neuankömmlinge leiteten. Tatsächlich nahm während der nächsten beiden Tage niemand dort oben mit mir Verbindung auf. Bis dahin war die Stadt befriedet. Sämtliche Schlüsselstel- lungen befanden sich in unserer Hand.

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