Nacht
hier verschwinden würden. Ich weiß, dass du Angst hast und völlig durcheinander bist, und bestimmt hast du auch schreckliche Schmerzen. Aber wenn Sie zurückkommt, dann … Bitte, Judy! Ich habe Angst. Lass uns wegfahren. Ich bringe dich in ein Krankenhaus.«
Wegfahren?
Vielleicht versteckte sich Judy ja gar nicht in einem Gebüsch und floh auch nicht in den Wald hinein. Vielleicht hatte sie sich längst an mir vorbeigeschlichen.
Und zwar zu ihrem Auto!
Ich nahm das Hemd von der Bank und rannte, die Pistole in der Hand, wild keuchend den Abhang hinauf. Das nasse Hemd in meiner linken Hand klatschte mir dabei gegen die Oberschenkel, und meine Brüste wippten heftig auf und ab. Auf halber Strecke verlor ich einen von Tonys Slippern, aber ich wagte es nicht, anzuhalten und nach ihm zu suchen.
Jeden Moment konnte Judy ihr Auto erreichen, einsteigen und wegfahren.
NEIN! Das ist doch völlig unmöglich. Denk doch dran, wie du sie zugerichtet hast. Sie schafft es niemals bis zum Wagen.
Und wenn doch?
Ich war geliefert. Von Anfang an hatte ich keine Chance gehabt, ich hatte es nur nicht wahrhaben wollen.
Im Geiste hörte ich schon, wie der Motor ansprang, hörte, wie Judy aufs Gas trat. Das Aufheulen des Motors war die Fanfare meines Untergangs.
Zum Glück existierte es nur in meiner Einbildung.
Noch.
Als ich den Kamm des Hügels erreichte, sah ich in der Dunkelheit vor mir undeutlich den Umriss des Wagens.
Und keine Judy.
Wie auch? Bestimmt saß sie bereits hinter dem Steuer und steckte gerade den Schlüssel ins Zündschloss.
Ich rannte um einen Picknicktisch herum und hinunter zum Parkplatz. Bei jedem Schritt erwartete ich, dass die Scheinwerfer aufflammten und mich in ihr grelles Licht tauchten.
Aber sie flammten nicht auf.
Und der Motor wurde auch nicht angelassen.
Überhaupt nichts geschah.
Als ich den Wagen erreicht hatte, blieb ich stehen und schaute durch das offene Fahrerfenster hinein.
Auf den Vordersitzen war niemand.
Und auf der Rückbank auch nicht.
Mit letzter Energie ging ich um den Wagen herum und vergewisserte mich, dass auch wirklich niemand in der Nähe war.
Dann steckte ich die Zweiundzwanziger in die Tasche und öffnete die Fahrertür. Die Innenbeleuchtung ging an, und ich kniff wegen der plötzlichen Helligkeit die Augen zu, während ich mich auf den Fahrersitz setzte. Der Zündschlüssel steckte. Es war mir vorhin nicht aufgefallen, dass Judy ihn nicht abgezogen hatte. Ich zog die Tür zu, und das Licht ging aus.
Ein paar Minuten lang saß ich schweißüberströmt da und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
Ich war so fertig, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.
Immerhin hatte ich Glück im Unglück, denn ich hatte vor Judy den Wagen erreicht. Jetzt konnte sie nicht mehr wegfahren.
Vor Hitze und Schweiß juckte mir die Haut am ganzen Körper. Als ich es nicht mehr länger aushielt, rieb ich mich mit dem nassen Hemd ab. Der Stoff fühlte sich angenehm kühl an.
Langsam ging es mir wieder besser.
Niemand hat behauptet, dass das hier ein Zuckerschlecken wird, sagte ich mir. Wenn man so eine Sache durchziehen will, muss man nun mal mit Rückschlägen rechnen.
Im Großen und Ganzen hatte ich mich bisher gar nicht so schlecht geschlagen, und wenn ich mich mit der Wohnung nicht vertan hätte, wäre alles glattgegangen.
Dass ich die Adresse in Tonys Geldbeutel falsch interpretiert hatte, war natürlich ein Fehler gewesen.
Ein gravierender Fehler.
Für Judy allerdings noch gravierender als für mich. Denn wegen dieses Fehlers musste sie jetzt sterben.
Ich rieb mir noch einmal mit dem nassen Hemd Brust und Gesicht ab, bevor ich damit meine Fingerabdrücke vom inneren Türgriff an der Beifahrerseite entfernte. Ich wischte auch über die Leiste unter dem Fenster und das Armaturenbrett. Währenddessen fiel mir wieder der verlorene Slipper ein.
Ich musste ihn finden.
Und zwar schnell!
Ich zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und stieg aus. Als die Innenbeleuchtung wieder anging, sah ich, dass unter dem Fahrersitz der Tragriemen von Judys Handtasche hervorschaute. Sie musste die Tasche wohl beim Aussteigen unter dem Sitz versteckt haben.
Ich bückte mich, um die Tasche herauszuziehen, hielt dann aber inne.
Wozu brauche ich Judys Handtasche? Die musste ich doch später bloß wieder loswerden, zusammen mit Tonys Geldbörse.
Hätte ich die blöde Börse doch nur nie in die Hand genommen!
Dann hätte ich auch nicht den Zettel mit der falschen Adresse
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