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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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gewesen sein.«
    »Ich fürchte, da haben Sie recht. Aber nun zu etwas anderem. Wie ich höre, hatte diese Frau Sie neulich aufgesucht. Ich möchte wissen, warum.«
    »Tut mir leid, aber das weiß ich selber nicht so genau.«
    Der Staatsanwalt musterte ihn einen Moment, dann schob er sich ein Zigarillo in den Mundwinkel, ohne es anzuzünden. »Dumme Angewohnheit, entschuldigen Sie. Versuche mir grade das Rauchen abzugewöhnen. Halte durch, solange es irgend geht. Ist ein erster Schritt. Wo waren wir stehengeblieben? Also, Ihr Vorgesetzter hält große Stücke auf Sie, wußten Sie das?«
    »Ja, ich weiß, aber ich fürchte, manchmal überschätzt er mich. Als Detektiv bin ich nicht gerade umwerfend. Auf unserem Revier haben wir es eigentlich nur mit Handtaschenraub und gestohlenen Fahrrädern zu tun.«
    »Und hin und wieder mit einem Mord.«
    »Kommt schon mal vor. Darauf muß man in einer Großstadt gefaßt sein.«
    »Nun, Guarnaccia, ich vertraue auf das Urteil Ihres Vorgesetzten. Maestrangelo ist ein tüchtiger Mann. Der bringt es eines Tages noch bis zum General. Und er kennt Sie lange genug – haben Sie ihn eigentlich schon mal lächeln sehen? Nein, lassen Sie, war nur so ein Gedanke. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen so ernsthaften Mann wie ihn getroffen. Und wie ich höre, haben die Journalisten ihm den Spitznamen ›Wandelndes Grabmal‹ verpaßt. Kurz und gut, ich werde seinen Rat befolgen. Sie teilen mir Ihre Beobachtungen und Informationen mit, und ich verkneife mir sämtliche Fragen, die mit ›Warum‹ beginnen. Alles, was ich mir ausbitte, ist, daß Sie Ihre Beobachtungen nicht für sich behalten, gleichgültig wie verworren oder unerklärlich sie Ihnen auch vorkommen mögen. Ist das akzeptabel für Sie?«
    »Ich tue mein Bestes…« Was durchaus stimmte. Er tat immer sein Bestes, aber das war nicht eben viel. Und sich vorzustellen, daß er im Büro des Staatsanwalts erschien und bekundete, in dieser oder jener Angelegenheit ein komisches Gefühl zu haben – also alles, was recht war!
    »Ihr Bestes genügt mir vollkommen. Und im Gegenzug werde auch ich mein Bestes tun und warten, bis Sie bereit sind zu reden, statt daß ich Ihnen mit meiner Ungeduld auf die Nerven falle. Die Presse interessiert unser Fall höchstens als Lückenbüßer, also haben wir von dieser Seite keinen Druck zu befürchten. Außerdem bin ich von Haus aus sehr geduldig. Darum hatten wir auch bisher noch nichts miteinander zu tun. Bis letztes Jahr war ich nämlich Jugendrichter, eine Aufgabe, die, wie Sie sich denken können, ein großes Maß an Einfühlungsvermögen und Geduld erfordert.«
    Eingedenk der Geschichte mit Signora Rossis Tochter, wäre der Maresciallo jetzt am liebsten im Boden versunken. Er versuchte sich zu erinnern, was genau er bei der Gelegenheit gesagt hatte, brachte es aber nicht mehr zusammen.
    Der Staatsanwalt lächelte verständnisvoll. »Sie taten gut daran, vorsichtig zu sein. Was meine Kollegen angeht, so wäre Ihr Mißtrauen bei vielleicht neunzig Prozent berechtigt gewesen. Aber nun an die Arbeit, Guarnaccia: Versuchen wir, Sara Hirschs Leben zu rekonstruieren.«
    5
    D er Maresciallo wartete. Die Mütze in der Hand, stand er in der dämmrigen Kühle eines weitläufigen Raums mit geschlossenen Läden und atmete den süßlichen Duft von Bienenwachs ein. Die schweren Möbel erinnerten ihn an seine längst vergangene Ministrantenzeit. An Wäschestärke und Weihrauch, die Hostien, die an seiner trockenen Zunge klebenblieben, an die warmen Paninos, die sie zum Frühstück bekamen und von denen die Marmelade tropfte… Der Schrank, in dem die Flasche Marsala für den Meßwein aufbewahrt wurde, hatte genauso ausgesehen wie der hier. Der vaterlose Vittorio hatte mit ihnen gewettet, daß er sich trauen würde, heimlich einen Schluck davon zu probieren.
    Dafür kommst du in die Hölle.
    Komm ich nicht. Zum Blut Christi wird der Wein ja erst bei der Wandlung.
    Aber auf dem Etikett steht doch, daß er eigens für die Heilige Messe bestimmt ist.
    Und wenn schon?
    Du kommst in die Hölle!
    Hatte er wirklich aus der Flasche getrunken oder nur so getan, als ob? Sie waren alle vor ihm zurückgewichen und hatten sich abgewandt. Vittorio hatte an diesem Morgen nicht mit ihnen gefrühstückt. Die Erinnerung daran schmerzte den Maresciallo, war der Junge doch immer halb verhungert gewesen. Die anderen erzählten, er sei heulend nach Hause gerannt, und einer behauptete sogar, er habe sich übergeben,

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