Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
wird es tun, das ist keine leere Drohung.
„ Gut, dass du das einsiehst.“ Ich verziehe kurz mein Gesicht zu einer Fratze. „Ziehst du mir eine Fratze, Mädchen?“ Ups, ja er kennt mich.
„ Würde ich mich niemals trauen.“ Stille.
„ Na gut.“
Ich blicke kurz hoch in den schwarzen Nachthimmel.
„ Jason“, beginne ich nochmal mit weicherer Stimme.
„ Glaube ja nicht, dass du mich darum bitten kannst, die Sache abzublasen. Dafür ist es zu spät.“ Wieder kann ich ihn direkt vor mir sehen und muss lächeln.
„ Das wollte ich gar nicht.“
Er schnaubt. „Dann ist es ja gut. Du hast mir schließlich einen riesigen Schrecken eingejagt.“ Was soll das denn jetzt heißen?
„ Für mich war es auch kein Kinderspiel“, gebe ich leicht verärgert zurück.
„ Ich hoffe, du hast daraus gelernt.“
„ Darauf kannst du Gift nehmen.“
„ Gut.“
Noch ein Blick in die Nacht. „Jason?“
Er wirkt genervt. „Was ist denn noch?“
„ Danke.“
Er brummt etwas, das wie „Danken kannst du mir ein anderes Mal“ klingt, und verabschiedet sich mit den Worten: „Dass mir keine Klagen von Nicole kommen.“
Also das ist doch wohl die Höhe! Doch er hat schon aufgelegt. Beinahe wütend sehe ich das kleine Telefon an. Wenn doch nur alles so einfach wäre.
Als ich die Suite wieder betrete, hat Alex die Weingläser bereits arrangiert und die Flasche Wein geöffnet und wartet auf mich.
„ Alles geklärt?“, erkundigt er sich.
Ich nicke – wie man es nimmt. Er gibt sich damit zufrieden und wartet feierlich darauf, dass ich mich zu ihm setze.
„ Deine Arbeiten sind sehr faszinierend. Sie gefallen mir ungemein.“
„ Danke.“ Ich greife nach den Weingläsern und der Flasche. „Lass mich einschenken.“
Er nickt und blättert noch einmal die Fotos durch. Währenddessen schenke ich den Wein ein und lasse die Phiole da wo sie ist. Kurz beschleicht mich ein leises Bedauern, aber das ist einfach nicht meine Art. Außerdem habe ich mich entschieden.
Er lässt sich nicht stören, während er noch einmal mein Buch durchblättert und ich nehme mir die Zeit, ihn erneut genauer zu betrachten. Ja, er ist ein wirklich attraktiver Mann, auch wenn ich ihn mir ohne die Brille nicht vorstellen kann. Sie gehört einfach zu ihm dazu und unterstützt seine markanten Gesichtszüge. Seine Hände, die mein Buch halten, sind feingliedrig und doch kräftig. Wie kräftig, konnte ich ja bereits feststellen. Wie zärtlich sie sein können allerdings auch. Hände sagen beinahe noch mehr über Menschen als ihr Gesicht. Meine zum Beispiel … ach, lassen wir das. Seine Beine sind locker übereinandergeschlagen und er wirkt entspannt, aber aufmerksam, wie er sich da so in seine Betrachtungen vertieft hat.
Ein wenig sieht er jetzt aus wie ein altehrwürdiger Plantagenbesitzer der Südstaaten, der seine Geschäftskorrespondenz ordnet. Es fehlt nur noch das liebe Frauchen in seinem Blickfeld und ein, zwei tobende Kinder in feinen Musselinkleidern sowie ein großer Hund. Quasi ein „Kalb“ von einem Tier, das allein durch seine Größe überzeugt, aber doch herzensgut ist. Natürlich würde die Frau ebenfalls ein helles spitzenbesetztes Kleid tragen und halb verdeckt werden von einem gigantischen Blumenstrauß, der in einer eleganten Vase den Tisch mit ihrem Teegeschirr dominiert.
Wenn sie sich beide umdrehen, können sie hinaus auf eine malerische Allee voll blühender Bäume und geschnittener Hecken sehen. Diese Vorstellung hat so etwas Herzzerreißendes, dass ich mich stark zusammenreißen muss, um mich nicht darin zu verlieren. Jeder Mensch hat seinen „natürlichen Lebensraum“ und das sollte seiner sein. Oder etwa nicht? Ich rufe mich zur Ordnung. Wir sind nicht auf einer Plantage – und auch wenn das hier nicht mein natürlicher Lebensraum ist, so ist er es doch noch wenige Stunden und ich muss einfach das Beste daraus machen.
Bevor ich mich dabei ertappe ihn beinahe wie ein verliebter Teenager anzuhimmeln, reiße ich mich von ihm los.
„ Wein?“
Alex sieht auf und nimmt das Glas, welches ich ihm auffordernd entgegenhalte.
„ Dankeschön.“ Wir prosten einander zu und er trinkt, während ich ihm dabei zusehe. Hat er eben kurz vorher an dem Wein gerochen? „Das ist ein guter Jahrgang.“
Ich nippe nur an meinem und stelle das Glas ab. Beobachtet er mich jetzt, wie ich ihn beobachte? Das ist absurd. Eine ganze Weile sehen wir uns nur an und ich bin unfähig, etwas zu sagen.
„ Willst du mir nicht
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