Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
ist, müssen Sie nicht antworten.“
„ Nein, nein. Schon gut.“ Er lächelt und schiebt sein Besteck von einer Seite des Tellers zur anderen. „Auch wenn ich Bens gestrige Aussagen nicht begrüße, geschweige denn unterstütze, so liegt doch auch Wahrheit darin.“ Ich setzte mich neugierig auf. „Ben und ich kennen uns tatsächlich seit wir kleine Jungs waren, und irgendwann … haben wir uns angefreundet.“ Er zögert noch einen Moment und ringt mit sich, was er preisgeben soll und was nicht. „Bens Schwester Fay und ich sind … gute Freunde und beinahe ebenfalls wie Geschwister aufgewachsen.“ Er macht eine dramaturgische Pause und ich ahne, dass da noch mehr dahintersteckt, als er zugeben möchte.
Plötzlich zuckt er mit den Achseln und fährt ungerührt fort. „Der Standesunterschied zwischen uns ist zu groß, und sosehr ich sie auch als Jugendlicher verehrt habe: Sie ist für mich nicht erreichbar und wir wissen es beide. Sie hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie in mir nur einen guten Freund und keinen potenziellen Partner sieht. Sie ist eine gute Freundin.“ Das klingt nicht ganz aufrichtig und mit mehr Nachdruck setzt er hinzu: „Die beste, die man sich wünschen kann.“
Ich nicke und beschließe, nicht weiter in ihn zu dringen. Dennoch interessiert mich etwas ganz anderes brennend. „Hat sie denn recht, wenn sie sagt, dass Sie einen besseren Job annehmen könnten, wenn Sie nur wollten?“
Wieder zuckt er mit den Achseln und erwidert sachlich: „Es wäre mir sicherlich möglich, eine andere Arbeitsstelle anzunehmen, aber bisher hatte ich keine Veranlassung dazu. Die Bezahlung ist in der Tat gut und meine Aufgabenfelder sind … überschaubar. Ich wollte sagen: mir vertraut ...“, jetzt grinst er verschmitzt. „Man könnte sagen, es gibt wenige Überraschungen und tatsächlich habe ich genug Zeit, um eigene Ziele zu verfolgen. Was soll ich mir anderes wünschen? Es gibt fast nichts, womit Ben mich aus der Bahn werfen könnte.“
Zum ersten Mal höre ich ihn eine formlose Anrede gegenüber Ben wählen und antworte mit einem Nicken. „Ich verstehe.“
Einen Moment schweigen wir beide, dann meldet sich plötzlich und unmissverständlich mein Körper. So natürlich scheint das Essen hier doch nicht zu sein. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment? Ich möchte mir die Nase pudern.“
Höflich steht er auf, als ich mich erhebe. „Selbstverständlich.“
Mit schnellen Schritten entferne ich mich und finde die Damentoiletten menschenleer vor. Umso besser. Schnell werde ich das Abendessen los und putze mir die Zähne. Die Zahnbürste findet sich natürlich rein zufällig in meiner Handtasche. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir, dass der rosige Teint, welchen Bens Blut auf mein Gesicht gezeichnet hat, zu schwinden beginnt. Verdammt, ich muss mit meinen Kräften besser haushalten oder mich an ihm vielleicht doch noch einmal bedienen?
Nein, überzeugt schüttele ich den Kopf. Das sollte wirklich eine Notlösung sein, denn zum einen schwächt es ihn und ich möchte nicht, dass der Bordarzt auf seine plötzliche Blutarmut aufmerksam wird; zum anderen war die letzte Begegnung mit ihm durchaus unangenehm genug um auf eine Fortsetzung verzichten zu können. Aber zur Not …
Ein anderer Kandidat wäre da schon interessanter, wie ich mir mit einem kleinen Lächeln eingestehen muss. Doch in Anbetracht dessen, dass er davon ausgeht, dass Ben und ich bereits das Bett geteilt haben, wäre dies wahrscheinlich nur unter enormem Einsatz meiner Kräfte überhaupt möglich. Ich muss das wirklich einmal klarstellen. Dafür ist es im Moment zu interessant, und wer weiß: Vielleicht sieht man sich auf dem Festland ja irgendwann wieder?
Als ich an den Tisch zurückkehre, sind die Teller abgeräumt und nur zwei Gläser mit dunklem Wein stehen auf unserem Tisch. Alex putzt sich gerade die Brille, als ich auf den Tisch zutrete und mich wieder hinsetze.
„ Der Kellner lässt uns ausrichten, dass das Dessert leider noch dauert.“ Ich nicke. „Deshalb habe ich mir erlaubt, uns einen erlesenen Wein zu bestellen, Miss Ashton. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus?“
„ In der Tat nicht, Sir.“
„ Schön, denn ich würde mich freuen, wenn wir den Abend noch ein wenig gemeinsam begehen und uns vielleicht ein wenig besser kennen lernen würden. Was halten Sie davon?“ Ich bin irritiert. Wann hat diese Verwandlung denn stattgefunden?
„ Geraten Sie dann nicht in einen Interessenkonflikt?“,
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