Nachtfalter
den Kopf gehen ließ, bevor sie zur harmlosesten griff.
»Er hat Sie aufgehalten und beiseite genommen. Das haben die beiden Leibwächter gesehen.«
»Jetzt, wo Sie es erwähnen, fällt es mir wieder ein. Er wollte mir sagen, daß ich mich auf der Bühne nicht aufreizend genug bewege. Und ich meinte zu ihm, warum er uns nicht gleich splitterfasernackt auf die Bühne stellt.«
»Nur darüber hat er mit Ihnen gesprochen?«
»Nein. Er fügte noch hinzu, sollte ich mein Maul nochmals aufreißen, würde er mich von der Bühne runterholen und ich könnte mich dann als Putzfrau verdingen. Er wäre dazu imstande gewesen, wissen Sie«, setzt sie hinzu. »Und ich habe das Geld bitter nötig.«
»Er hat Ihnen gesagt, er würde Sie zum Putzen abkommandieren, und Sie konnten sich daran gar nicht erinnern?«
Sie zuckt gleichgültig mit den Schultern. »Wir hören hier jeden Abend zehn Drohungen. Von Koustas bis Karteris und von Karteris bis Chortiatis drohen uns alle, sie würden uns rausschmeißen. Wenn wir uns da an jedes einzelne Mal erinnern wollten –«
»Sind Sie fertig, Herr Kommissar? Kalia muß jetzt auf die Bühne.«
Chortiatis steht in der Tür. Er blickt Kalia forschend an. Sobald ich weg bin, wird er sie bedrängen, um zu erfahren, was ich sie gefragt und was sie mir geantwortet hat. Kalia stöckelt zur Bühne. Ich folge ihr. Hinter mir höre ich Chortiatis’ Schritte.
In der Zwischenzeit hat sich das Nachtlokal gefüllt. Die beiden Schlägertypen sitzen nicht mehr auf ihren Plätzen, und die junge Frau an der Bar hat alle Hände voll zu tun, Getränke auszuschenken. Ein Fotograf streift um die Tische und knipst die Gäste. Auf der Tanzfläche erscheint ein Zigeuner mit Koteletten, die bis zu seinen Mundwinkeln reichen, an seiner Seite Kalia und eine andere junge Frau gleichen Kalibers, nur mit knallrotem Haar. Ich halte mich im Hintergrund und verfolge kurz das sich bietende Schauspiel. Es ist genau wie von Kalia beschrieben. Die beiden jungen Frauen wackeln ununterbrochen mit ihren Hüften, einmal nach vorn, einmal nach hinten und dann im Kreis. Ihre Münder öffnen und schließen sich zwar, doch kein Laut ist zu hören. Und zwischen ihnen singt der Zigeuner mit schmerzverzerrtem Ausdruck und geschlossenen Augen.
»Wenn Sie das nächste Mal zum Verhör vorbeikommen, dann melden Sie sich vorher gefälligst an«, höre ich eine Stimme hinter meinem Rücken.
Ich drehe mich um und erkenne Makis, Koustas’ Sohn.
Sein Blick ist nicht unstet wie am Morgen, ganz im Gegenteil, er blickt mir zornig in die Augen. Er trägt eine Lederjacke und Jeans, die er in spitze, gemusterte Cowboystiefel gezwängt hat.
»Was suchen Sie denn hier?«
»Was für eine Frage! Jetzt, wo mein Vater tot ist, habe ich hier das Sagen. Und ich wünsche während der Arbeitszeit keine Bullenbesuche, die den Leuten die gute Laune verderben.«
Mir kommt der Gedanke, daß ihm eine schallende Ohrfeige guttäte, um ihn auf den Boden der Tatsachen zu holen. Doch da keucht Chortiatis herbei.
»Beruhige dich, Makis.« Er fleht schon fast. »Wir haben schon genug Unannehmlichkeiten am Hals, wir können nicht noch weiteren Krawall gebrauchen. Entschuldigen Sie vielmals das Mißverständnis, Herr Kommissar.«
Durch seine Worte gelingt es ihm zwar, mich wieder zu beruhigen, Makis treibt er dadurch jedoch noch mehr auf die Palme. Er packt Chortiatis an seinem braunen Anzug und beginnt ihn hin und her zu schütteln.
»Schnauze!« ruft er. »Ich setz dich vor die Tür, verstanden? Du hast hier schon genug den Macher gespielt! Wenn mein Alter auf mich gehört und mir die Geschäftsführung überlassen hätte, dann wärst du längst weg vom Fenster!«
Chortiatis blickt ihn einen Augenblick lang perplex an. Dann bricht er in ein irres, paranoides Lachen aus. Sein magerer Körper zittert wie Fruchtgelee, die Brille droht ihm von der Nase zu rutschen, doch es ist ihm unmöglich, sein Gelächter unter Kontrolle zu bringen. Makis starrt ihn wortlos an. Der Fotograf hat seine Arbeit unterbrochen und verfolgt die Szene. Chortiatis dreht sich um und entfernt sich, immer noch glucksend. Ich würde ihn gerne fragen, was er so komisch findet, doch der Augenblick erscheint mir unpassend.
Beim Verlassen des Lokals raunt mir der Türsteher zu: »Wenn der den Laden übernimmt, dann sind wir in zwei Monaten pleite, und ich kann mir eine neue Stelle suchen.«
Ich lasse ihn mit der Furcht vor seiner künftigen Arbeitslosigkeit allein und steige in meinen
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