Nachtfalter
Wirklichkeit messen will.
»Hooligans treten nur bei großen Mannschaften in Aktion. Dort lassen sie ihrem Fanatismus freien Lauf – bei Panathinaikos, AEK, Olympiakos. Einem Drittligaverein hält man aus Lokalpatriotismus die Treue, doch im Grunde geht er einem am Arsch vorbei.«
Ich wende mich um und blicke auf Nasioulis. Er nickt bestätigend. »Genau so ist es«, meint er.
»Und woher hatte Petroulias den Zaster für seinen aufwendigen Lebensstil? Das einzige Einkommen, das er anführt, sind Mieteinnahmen und die Einkünfte aus seiner Schiedsrichtertätigkeit.«
Sotiropoulos schüttelt sich vor Lachen. »Leben Sie eigentlich auf dem Mond? Haben Sie noch nie von illegalen Wucherzinsen gehört? Wissen Sie, in welch schwindelerregende Höhen die Zinsen auf dem Schwarzmarkt schnellen? Über hundert Prozent! Jawohl: hundert Prozent! Wenn er fünf Millionen hatte, machte er in einem Jahr zehn draus und in zwei Jahren zwanzig. Alles steuerfrei. Bitte sehr – daher stammt das Geld für seinen Lebenswandel.«
Ich erinnere mich, daß ich auch schon daran gedacht hatte, nur in bezug auf Koustas. Sollte womöglich gar nicht Koustas in Wuchergeschäfte verwickelt sein, sondern Petroulias? »Auch wenn es so wäre, hätte er doch sein Geld in seinem nächsten Umfeld gewinnbringend angelegt. Und sein nächstes Umfeld waren die Mannschaften der dritten Liga. Folglich müssen wir zunächst dort suchen.«
»Wissen Sie, was man unter ›Catenaccio‹ versteht, Herr Kommissar?«
»Nein.«
»Eine engmaschige Abwehrkette, die die Stürmer der gegnerischen Mannschaft daran hindern soll, auch nur in Sichtweite des Tores zu gelangen. Die Vereinsfunktionäre der dritten Liga halten zusammen wie Pech und Schwefel. Da beißen Sie auf Granit und stehen vor einem klassischen ›Catenaccio‹: einer Abwehrmauer, die Sie nur schwer durchbrechen werden.«
Schon wieder wirft man mir Knüppel zwischen die Beine. »Na, Kommissar, Ihre Rechnungen gehen in der letzten Zeit nicht auf, was?« meint Sotiropoulos, während er sich erhebt.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil Sie im Fall Koustas das Handtuch geworfen haben. Und bei Petroulias, fürchte ich, sind Sie auf dem Holzweg. Daran ist wohl Ihr gesundheitlicher Zustand schuld, der hat Sie völlig aus dem Gleis geworfen.«
Ich merke, wie es mich juckt, ihm ordentlich die Meinung zu sagen, ihm vorzuhalten, daß ich ohne Umschweife vom Krankenlager in die Dienststelle geeilt bin, ohne Kuraufenthalt, nur damit er sich abends in der Tagesschau mit fremden Federn schmücken kann. Ich schlucke die Bemerkung jedoch hinunter, weil er mir Nasioulis vermittelt hat.
»Vielen Dank für Ihr Entgegenkommen«, sage ich zu Nasioulis. »Wenn ich noch etwas brauche, werde ich mich bei Ihnen melden.«
Ich sehe, wie sie abgehen, und denke, daß ich zu Unrecht beleidigt bin. Es stimmt ja, daß ich im Mordfall Petroulias genau wie bei Koustas nicht weiterkomme. Der gesunde Menschenverstand und die Hinweise, die ich in Händen halte, deuten eigentlich darauf hin, daß man Petroulias durch ein abgekartetes Spiel aus dem Weg geräumt hat. Und dennoch fällt diese Theorie nach und nach in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Es bleibt mir jedoch kein anderer als dieser Holzweg übrig, wenn ich nicht noch einen Fall zu den unaufgeklärten Verbrechen ins Archiv abschieben will.
Die Tür geht auf, und Dermitzakis tritt mit einem Stapel Computerausdrucken ein. »Petroulias’ Kontoauszüge«, trompetet er triumphierend.
Petroulias verfügte über zwei Bankkonten, eines bei der Interbank und ein anderes bei der Chiosbank. Daß er zwei junge und relativ kleine Bankhäuser gewählt hat, hebt meine Stimmung. Wer verdächtige Geschäfte tätigt, wendet sich normalerweise an kleinere Bankhäuser, die auch mal fünfe gerade sein lassen, um neue und potente Kunden anzuwerben. Ich versuche, meine Ungeduld zu zügeln und die Auszüge aufmerksam zu studieren. Das Konto bei der Chiosbank weist niedrige Einzahlungen in Höhe von hundert- oder hundertfünfzigtausend auf sowie regelmäßige Abhebungen in ähnlicher Höhe. Die gewöhnlichen Kontobewegungen eines Kleinbürgers. Es könnten genausogut meine eigenen Bankauszüge sein. Das Bankkonto der Interbank hingegen weist nur sehr wenige Einzahlungen auf, nur ein- bis zweimal im Monat, dafür aber größere Summen: zwischen zweieinhalb und fünf Millionen. Auch wird von diesem Konto nur selten Geld abgehoben. Ich blicke auf den Kontostand: 35.522.867. Als Wucherer hätte er öfter
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