Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
Vom Netzwerk:
fortholte, wenn sie spürten, dass der Tod bevorstand. Sein Vater ging, um alleine zu sterben, und Angst und Schmerz durchzogen Dämmers Körper. Wie betäubt blickte er zu Sylph hinüber.
    Ihr Vater humpelte weiter, und Dämmer und Sylph folgten ihm stumm, wussten nicht, was sie sonst hätten tun sollen. Sie waren drei Schatten, die sich durch eine Art von Schwebezustand bewegten, der weder Nacht noch Tag war. Die Vögel hatten noch nicht den ersten Ton ihres Morgenlieds gesungen. Wenn sein Vater anhielt, um Luft zu holen, warteten Sylph und Dämmer bei ihm und ließen ihn die Geschwindigkeit seiner furchtbaren Reise bestimmen. Schließlich schien er damit, wo er sich befand, zufrieden zu sein und ließ sich in einer tiefen Furche im Ast nieder. Sie erinnerte Dämmer ein wenig an ihr altes Nest im Mammutbaum.
    Ihr Vater machte die Augen fest zu, als würde er sich konzentrieren. Sein flatternder Atem klang in der Stille des Waldes sehr laut.
    »Da ist noch etwas, das ich dir mitteilen muss«, sagte er und sah Dämmer in die Augen.
    Dämmer wartete und wusste nicht, was er zu hören bekommen würde, ob es deutlich oder zusammenhanglos sein würde. Doch die Stimme seines Vaters war ruhig und seine Augen waren klar.
    »Das Sauriernest, das du auf der Insel gefunden hast, erinnerst du dich noch daran?«
    Dämmer nickte. Das schien schon so lange her zu sein und war doch im Moment völlig unwichtig.
    »Nova hat die Eier nicht zerstört«, sagte sein Vater. »Ich habe das getan.«
    »Wovon redet er?«, hörte Dämmer Sylph neben sich flüstern.
    Doch er sah sie nicht an. Er blickte nur seinen Vater an und bekam kein Wort heraus.
    »Vor all diesen Jahren, als wir aus dem Pakt ausgestiegen waren und die anderen Chiropter uns ausgestoßen hatten, war es mein innigster Wunsch, ein neues Zuhause, einen sicheren Ort für uns alle zu finden. Die Insel schien genau das Richtige zu sein. Bei unserer Ankunft haben wir sie erforscht und keinerlei Anzeichen von Dinosauriern bemerkt. Dann fanden wir den Mammutbaum – und was für ein Baum das war, ein makelloses Heim für eine neue Kolonie. Doch später im Jahr, als ich alleine unterwegs war, um meine Kontrollrunde auf der Insel zu machen, habe ich zwei Saurier entdeckt. Sie mussten vom Festland herübergekommen sein, vielleicht aus demselben Grund wie wir. Vielleicht waren sie vertrieben worden, vielleicht haben sie aber auch nur einen guten Nistplatz für ihre Jungen gesucht. Die Saurier waren alt, ich konnte sehen, dass sie auch diese Fäulniskrankheit hatten. Sie würden nicht mehr lange leben, aber in ihrem Nest lagen vier Eier.«
    Ikaron unterbrach sich und atmete ein paar Mal tief und langsam durch. Dämmer wagte kaum Luft zu holen.
    »Ich habe gesehen, von welcher Art sie waren«, fuhr sein Vater fort. »Sie waren keine Flieger. Fliegende Saurier hätten für uns nur eine geringe Bedrohung dargestellt. Die aber waren Landjäger, Fleischfresser. Und sie konnten auf Bäume klettern. Barat, Sol, deine Mutter und ich, wir alle hatten Neugeborene, die gerade lernten, zu gleiten, zu jagen und auf sich selbst achtzugeben. Das hat meine Sicht der Dinge verändert. Als ich diese Sauriereier gesehen habe, wollte ich nicht, dass sie schlüpfen. Ich wollte nicht, dass meine eigenen Kinder zu ihrer Beute werden. Ich habe dann das getan, was ich geschworen hatte, nie wieder zu tun. Ich habe die Eier zerstört.«
    »Aber … du hast mich angelogen«, sagte Dämmer. Aus irgendeinem Grund war das im Moment alles, was sein Geist erfassen konnte, und er fühlte sich schrecklich verletzt. »Als ich dir das erzählt hab, hast du so schockiert gewirkt, und du hast gesagt, du würdest herausfinden, wer es getan hat. Doch du hast schon alles gewusst.«
    »Es tut mit leid, Dämmer.«
    Dämmer starrte auf die Rinde. Sein ganzes Leben lang hatte es niemanden gegeben, dem er mehr vertraut hatte als seinem Vater.
    »Hat Mama davon gewusst?«
    »Ich habe es niemandem erzählt. Aber einige Vögel hatten mich dabei beobachtet, wie ich es tat. Ich konnte sie über mir kreischen hören. Ich hatte gehofft, sie würden das mit der Zeit vergessen, aber offenbar haben sie die Geschichte ihren Nachkommen weitererzählt.«
    Dämmer hob die Augen. Sein Vater beobachtete ihn.
    »Aber das alles, was du gesagt hast, wie falsch es war …«
    »Er wollte uns beschützen«, sagte Sylph scharf. »Kannst du das nicht verstehen, Dämmer? Er hat gewollt, dass wir alle in Sicherheit sind!«
    Dämmer zuckte bei der gereizten

Weitere Kostenlose Bücher