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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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biss, und zwei Mal konnte er sich aus Reißzahns Griff befreien und versuchen, sich auf seinen verwundeten Beinen davonzuschleppen. Doch jedes Mal packte ihn Reißzahn wieder und umklammerte seine Kehle fester. Es war ein schweißtreibendes, schmutziges und lautes Geschäft. Als der Körper des Wühlers schließlich erschlaffte, befürchtete Reißzahn, dass jemand etwas gehört haben könnte.
    Keuchend zerrte er den Kadaver hinter den dichten Blätterschutz eines Teebuschs. Sein Atem ging in abgehackten, kurzen Stößen. Er lauschte eine Weile, hörte aber nichts in der Nähe. Und dann konnte er sich nicht länger beherrschen. Das Blut pochte in seinen Adern und er wimmerte fast vor Verlangen. Er stieß das Gesicht des Wühlers nach unten, damit ihn seine toten Augen nicht anblickten, und riss das weiche Fleisch seiner Beute auf. Er wusste, dass er schnell fressen musste, denn der reiche, berauschende Geruch der Eingeweide würde sich im Wald so rasch verbreiten wie ein Windstoß.
    Er fraß ohne jeden Sinn für alles sonst, als hätte er tagelang gehungert.
    Als er den Kopf hob, um Luft zu holen, wurde er von Panthera beobachtet, von der anderen Seite des Buschs, keine anderthalb Meter entfernt.
    »Was hast du getan?«, flüsterte sie.
    Ihre Nase zuckte bei dem Geruch, ihre Schnurrhaare zitterten vor Aufregung und die Ohren waren steil aufgerichtet. Ihre Verwunderung machte ihm bewusst, wie er aussehen musste: das Gesicht verschmiert von geronnenem Blut, Fleischfetzen zwischen den Zähnen.
    »Wir sind dazu geboren worden, es zu tun«, sagte er leise. »Versuch mal davon.«
    Sie zog sich ein paar Schritte zurück.
    »Panthera«, sagte er, verletzt von der Angst und dem Ekel in ihren Augen, »das ist der Weg in die Zukunft. Auf diesem Weg werden wir die Herrschaft übernehmen.«
    Sie drehte sich um und rannte davon.
     

Kapitel 7
Weg in die Zukunft
    D ämmer wachte früh auf und seine Muskeln taten so weh, dass er sich fragte, ob er wirklich zum Fliegen geschaffen sei. Wenn er einatmete, pochte es heiß in seiner Brust und durch seine Schultern zuckte ein Schmerz. Jede Bewegung der Segel ließ ihn stöhnen. Er blieb ganz still liegen und hörte zu, wie die Vögel ihre Morgengesänge anstimmten. Erst erklangen einzelne Töne durch den Wald, die sich dann wie Echos vervielfachten.
    Normalerweise erfüllte Dämmer diese Musik mit einem Gefühl von Staunen und Wohlbehagen. Er stellte sich dann immer vor, die Vögel würden den Tag besingen, um die Sonne heraufzubeschwören. Doch an diesem Morgen fühlte er sich schwer vor Sorgen.
    Dabei sollte er doch glücklich sein. Gestern waren er und Sylph vor den anderen zum Baum zurückgekehrt und konnten sich wieder unter die Neugeborenen mischen, ohne dass ihre Abwesenheit von der abgehetzten Bruba überhaupt bemerkt worden war. Sie hatten ihr Abenteuer gehabt und waren einer Bestrafung entgangen. Bis zum Abend waren nach und nach alle Suchtrupps wieder zu der Lichtung zurückgekehrt und alle brachten dieselbe Nachricht. Es gab keinerlei Anzeichen von Sauriern oder Sauriernestern. Im Mammutbaum herrschte eine fröhliche Stimmung. Dämmer war erleichtert, dass die Insel sicher war, und erfreut darüber, dass sein Vater Nova bewiesen hatte, dass sie im Unrecht war.
    Aber nichts davon schien wirklich wichtig zu sein.
    Er konnte fliegen.
    Dämmer schloss die Augen und erinnerte sich an das aufregende Gefühl. Doch jetzt fühlte er sich so unbeweglich wie ein Stein. Sollte er seinen Eltern erzählen, dass er fliegen konnte? Oder musste er das sein ganzes Leben lang verbergen? Er blickte hinüber zu seinem Vater und seiner Mutter, die die Augen noch geschlossen hatten, und überlegte, was sie wohl sagen würden.
    »Komm schon«, sagte Sylph und schob sich neben ihn. »Ich bin hungrig.«
    Völlig steif folgte er seiner Schwester. Als er sich in die Luft warf, musste er sich zurückhalten, nicht zu flattern. Beim Entfalten der Segel stöhnte er leise auf vor Schmerz, stellte sie fest und fing an zu jagen. Sein Magen knurrte laut, doch er war lustlos.
    »Geht es dir gut?«, frage Sylph, als sich ihre Wege kreuzten.
    »Nur Muskelkater«, murmelte er.
    Als die Sonne aufging, wurde es auf der Lichtung belebter. Dämmer jagte ziemlich gelangweilt. Irgendetwas schwelte hinter seiner Niedergeschlagenheit, und dann wurde ihm klar, dass es Wut war. Jeder Muskel in Schultern und Armen wollte flattern, und doch verweigerte er es sich selbst. Er konnte fliegen, warum tat er es also nicht? Warum

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