Nachtflügel
sagte er dann. »Gewalt führt nur selten zu einem gesicherten Frieden.«
Mit wütendem Gesicht wandte sich Ikaron an Nova. »Du irrst dich gewaltig, wenn du denkst, unsere Stimmen hätten dasselbe Gewicht. Meine ist die einzig entscheidende. Glaube bloß nicht, eine Abstimmung könnte das ändern.«
»Ikaron, es ist das Fliegen deines Sohns, das uns in diese Situation gebracht hat«, sagte Nova. »Es hätte nie erlaubt werden dürfen. Es ist unnatürlich.«
»Du willst also nichts unternehmen?«, begehrte Barat auf.
Dämmer wurde ganz elend zumute, als er mit ansehen musste, wie sein Vater diesen Angriffen ausgesetzt war.
»Ich werde in der Tat etwas unternehmen«, sagte Ikaron. »Auch wenn es dich nicht zufriedenstellen wird, Barat.«
Dämmer sah, wie sein Vater den Blick auf ihn richtete, und entdeckte in seinen Augen ein tiefes Bedauern.
»Ich werde sicherstellen, dass die Vögel nie wieder das Gefühl haben müssen, ihr Gebiet sei bedroht.«
»Die Vögel wollen nicht, dass du fliegst«, sagte sein Vater sanft.
»Ich weiß«, sagte er.
Es war bereits später Nachmittag und das weiche Licht der Sonne fiel schräg von Westen zwischen die Bäume. Es war das erste Mal an diesem langen, angespannten Tag, dass sie die Gelegenheit hatten, als Familie in der Abgeschiedenheit ihres Nests zusammenzukommen. Aeolus war nach unten auf den Sterbeast des Mammutbaums gebracht worden, wo ihn seine Familie noch einmal betrachtete, bevor sie ihn den Insekten und den Elementen überließ.
»Du musst damit aufhören«, sagte Ikaron.
Dämmer nickte, zu schuldbewusst, um zu protestieren. Vielleicht war es der Stolz gewesen, der ihn hatte flattern lassen – besser zu sein als die anderen. Aber er tat es einfach so gerne, er liebte die ausgelassene Freiheit beim Fliegen.
»Ich finde das nicht gerecht«, wandte Sylph ein. »Warum sind alle böse auf Dämmer? Er hat doch Aeolus nicht umgebracht. Auf die Vögel sollten alle böse sein. Barat hatte recht, wir sollten …«
Dämmer sah die Augen seines Vaters aufblitzen. »Ich dulde diesen Unsinn nicht.« Seine Stimme war schon fast ein Knurren. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe, Sylph? Wir können die Unternehmungen der Vögel nicht kontrollieren. Wenn wir den Frieden bewahren wollen, um weitere Todesfälle zu vermeiden, ist es am einfachsten, wenn Dämmer mit dem Fliegen aufhört. Gerechtigkeit hat damit nichts zu tun.«
»Ich weiß, dass das nicht einfach ist, Dämmer«, sagte seine Mutter. »Aber dein Vater hat recht. Es ist für alle das Beste. Das Fliegen muss aufhören.«
»Ich habe solch ein Verlangen danach«, sagte Dämmer leise. Trotz seiner Schuldgefühle konnte er seine Traurigkeit nicht unterdrücken. Er war geflogen, er war aufgestiegen.
»Es ist zu gefährlich, besonders auch für dich«, sagte sein Vater bestimmt. »Wenn die Vögel dich als Opfer wollten, dann werden sie beim nächsten Mal keinen Fehler mehr machen.«
Dämmer dachte an den Anblick von Aeolus’ zusammengefallenem Körper auf dem Ast und fing an zu zittern.
Ikaron sah ihn freundlich an. »Erinnerst du dich noch daran, wie ich dich zum ersten Mal den Baum mit nach oben genommen habe?«
»Ja.«
»Du hast nicht mal springen wollen.«
»Ich hatte große Angst.«
»Aber dann bist du gesprungen, deine Segel haben sich mit Luft gefüllt, und du hast gemerkt, dass du für die Luft geschaffen bist. Mehr, als wir alle wussten. Ich habe nicht gesagt, du sollst die Luft aufgeben. Du bist ein guter Gleiter, Dämmer. Sehr schnell. Du erinnerst dich an das Vergnügen daran, oder? Kehre zum Gleiten zurück. Verfeinere diese Fähigkeit und versuche, nicht an das Fliegen zu denken. Das wird einfacher, je mehr Zeit vergeht.«
»Ich werde es versuchen, Papa.«
»Versprichst du mir das?«
»Ich verspreche es.«
Am nächsten Morgen bei der Jagd wollten Dämmers Segel flattern – das war jetzt fast seine zweite Natur –, doch er ließ es nicht zu. Er hielt sie steif und schwitzte dabei vor Anstrengung, glitt tiefer und tiefer, landete, zog sich langsam mit den Krallen den Stamm nach oben. Ihm entging ein großer Teil seiner Beute. Er war nun langsamer und weniger geschickt, und an diesem Abend legte er sich hungrig schlafen.
Im Laufe der nächsten Tage wurde alles noch schlimmer. Nach Aeolus’ Tod sahen ihn die anderen Chiropter nicht einmal mehr an. Es war, als wäre er unsichtbar. Die schlimmsten Befürchtungen seiner Mutter wurden nun wahr. Zuvor war er nur missgebildet gewesen, jetzt
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