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Nachtflug Zur Hölle

Nachtflug Zur Hölle

Titel: Nachtflug Zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dale Brown
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gedroht haben?«
    »General Woschtschanka, ich will mit Ihnen zusammenarbeiten – zum Vorteil meiner Auftraggeber und Ihres Landes«, erwiderte Gabowitsch ruhig. »Denken Sie über meinen Vorschlag nach. Wir könnten einen neuen sowjetischen Staat mit kommunistischen Idealen gründen, dessen Zentralregierung unter weißrussischer Führung fest im Sattel sitzt. Und sollte Belarus in der Gemeinschaft bleiben wollen, könnte es gleichberechtigt mit Moskau verhandeln. Ich biete Ihnen eine Gelegenheit, die Schwäche Litauens und die Schwächen der GUS auszunutzen. Lehnen Sie ab, sind wir beide im Nachteil.
    Sagen Sie zu, haben wir beide eine Siegeschance.«
    Gabowitsch zuckte mit den Schultern. Er wußte recht gut, daß eine desorganisierte, turbulente GUS ohne echten Zusammenhalt das Fisikus-Institut in Ruhe lassen würde. Im nächsten Augenblick bedachte er Woschtschanka mit einem herausfordernden Lächeln.
    »Sollten wir damit keinen Erfolg haben, Towarischtsch, hätten wir’s wenigstens versucht. Dann würden Sie als Patriot gepriesen, der für die Größe seines Landes gekämpft hat. Die GUS würde Sie vielleicht in einem anonymen Grab verscharren, aber das Volk würde Sie für immer in seinem Herzen tragen.«
    Woschtschanka fand Gabowitschs Kühnheit erstaunlich – insbesondere diese letzte Bemerkung! Die Anspielung bezog sich auf eine berühmte Legende über einen General aus Minsk, der im Großen Vaterländischen Krieg eine der im Kampf gegen die Nazis siegreichen Armeen kommandiert hatte. Doch als der weißrussische General bei Stalin die Befreiung Leningrads gemeldet hatte, war er angeblich erschossen und irgendwo verscharrt worden, weil sein Feldherrenruhm ihn zu einem politisch gefährlichen Gegner hätte machen können, »Wie ich sehe, kennen Sie unsere weißrussische Geschichte, Towarischtsch«, sagte Woschtschanka schließlich. Er stand auf, nickte seinem Adjutanten zu und setzte sich in Richtung Tür in Bewegung.
    »Sie hören von mir, General Gabowitsch. Doh svedanya.«
Leningradski Woksal
(Leningrader Bahnhof), Moskau
23. Dezember, 10.35 Uhr
    Normalerweise hätte der Leningrader Bahnhof im Zentrum Moskaus selbst im Winter zu den schönsten öffentlichen Gebäuden Europas gehört. Mit seinen weiten Hallen, riesigen Portalen, wandhohen Reliefs und reich verzierten Bahnhofsuhren war er eine der größten Touristenattraktionen der Hauptstadt. Obwohl die Stadt Leningrad 1991 wieder ihren historischen Namen St. Petersburg angenommen hatte, behielt der Leningrader Bahnhof seinen Namen – darüber gab es gar keine Debatte.
    An diesem Tag erinnerte er jedoch an ein improvisiertes Auffanglager für die Opfer einer Naturkatastrophe, die weite Landstriche erfaßt hatte. Hunderte von Männern, Frauen und Kindern drängten sich in der vergeblichen Hoffnung auf etwas Wärme um die Heizkörper. Bauern aus dem Umland verkauften die letzten verfaulenden Lebensmittel aus ihren Scheunen und Kellern zu Wucherpreisen in der Hoffnung, einen guten Mantel oder Stiefel kaufen zu können – die es aber in der ganzen Stadt nicht mehr gab. Diebesbanden machten den Bahnhof unsicher, deshalb waren dort Streifen der Stadtpolizei, Soldaten der russischen Föderation und GUS-Soldaten unterwegs. Aber die Soldaten, die jeden Rubel brauchten, um ihre Familien durchzubringen, stahlen den hilflosen, eingeschüchterten Händlern und ihren eigenen Kameraden kaum weniger als die Diebesbanden.
    Moskau war selbst in besten Zeiten und bei schönem Wetter nie sonderlich anregend gewesen. Jetzt im Winter bei starkem Schneefall und tiefen Minustemperaturen – und nach jahrelanger Lebensmittelknappheit, die sich mittlerweile zu einer Hungersnot ausgewachsen hatte – war die russische Hauptstadt auch für Ausländer ein wahrhaft elender Dienstort.
    Sharon Greenfield, die Leiterin der politischen Abteilung der US-Botschaft, war seit über drei Jahren in Moskau – länger als jedes andere Mitglied der amerikanischen Delegation. Greenfield war Ende Dreißig: eine große, schlanke Erscheinung mit dunklem Haar, in dem sich erste Silberfäden zeigten, und mit klaren blauen Augen, die jeden Mann, der es wagte, Sharon nicht für voll zu nehmen, durchbohren konnten.
    Greenfield hatte hier schon alles gesehen. Bei der Eröffnung des ersten McDonald’s war auf den Straßen getanzt worden. Die Eröffnung der ersten ausländischen Geschäfte, die den neuen konvertierbaren Rubel annahmen, war ebenfalls gefeiert worden. Als die Reformen nicht griffen und die

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