Nachtflug Zur Hölle
gefangen: Er konnte den Mann ausquetschen und anschließend beseitigen, ohne daß jemand davon erfuhr. Greenfield war sich darüber im klaren, daß sie mit dem Leben ihres Landsmanns spielte. Boris Dwornikow wußte jetzt genug, um den US-Offizier im Fisikus-Institut selbst aufspüren zu können – und brauchte sich danach nicht mehr um ihn zu kümmern.
Aber die Idee zu diesem Treff stammte von ihm, nicht von ihr.
Dwornikow wollte irgend etwas.
Vielleicht war er zu einem Tauschhandel bereit. Seine Klienten in Regierungskreisen würden solche Informationen gut honorieren, wenn sie halfen, einen politischen Gegner zu vernichten oder einen politischen Bundesgenossen zu gewinnen. Die durch den Zerfall der Sowjetunion ausgelösten Machtkämpfe hielten schließlich unvermindert an.
»Was könnten Sie noch in meinen Roman packen?« erkundigte er sich schließlich.
»Das ist der Punkt, an dem unsere Story interessant wird«, antwortete Sharon Greenfield. »Dies könnte der erste Roman sein, in dem die Guten und die Bösen einander tatsächlich helfen.«
»Das halte ich wirklich für eine Fiktion.«
»Gut, dann müssen Sie Ihre Geschichte eben selbst erfinden, Boris Grigorjewitsch«, sagte sie. »Hören Sie. ich hab’s ziemlich eilig. Können wir …?«
»Schon, kommen wir also zur Sache. Ich habe Sie nicht hergebeten, um mit Ihnen über Romane, sondern über die Lage im Baltikum zu sprechen.« Er schraubte eine Thermoskanne auf und goß zwei Tassen Mokka ein, von denen er eine Greenfield hinstellte. »Wie Sie wissen, Sharon, importiert mein Land große Mengen Nahrungsmittel – Milchprodukte, Eier und dergleichen – aus unseren früheren baltischen Republiken. Das möchten wir weiterhin tun, auch wenn es vielen unserer Bürokraten widerstrebt, Lieferungen aus einer früheren Republik mit horrenden Summen in harter Währung bezahlen zu müssen. Aber es scheint eine Bewegung zu geben, die darauf abzielt, eine oder mehrere der baltischen Republiken mit ihrem Stammland wiederzuvereinigen.«
»Wiedervereinigen? Soll das heißen, daß ein Staat der Gemeinschaft ins Baltikum einmarschieren will?«
»Offenbar sprechen gewichtige historische Gründe für eine…
Wiedervereinigung der baltischen Republiken mit bestimmten Gemeinschaftsstaaten«, stellte Dwornikow fest. »Schließlich haben die baltischen Staaten schon vor der Gründung der Sowjetunion zu Rußland gehört und sind später eng mit anderen Staaten wie Weißrußland und der Ukraine verbunden gewesen. Aber lassen wir diese Lektion in Geschichte mal beiseite und wenden uns der eigentlichen Frage zu: Wie könnte die amerikanische Reaktion aussehen?«
»Das wissen Sie genau, Dwornikow!« antwortete Greenfield nachdrücklich. »Die Vereinigten Staaten haben schon immer jedes Land verteidigt, dessen Regierung durch freie Wahlen zustande gekommen ist und das sich an bestimmte demokratische Regeln hält.«
»Aber die Amerikaner haben auch Diktatoren und Gewaltherrscher gestützt, meine Liebe: Marcos, Noriega, Pinochet, den Schah von Persien … Muß ich noch weitermachen?«
»Bleiben wir beim Baltikum, Dwornikow«, verlangte Greenfield gereizt. »Diese drei Republiken sind so unabhängig wie die Vereinigten Staaten, Frankreich oder Großbritannien. Käme von dort eine Bitte um Unterstützung, würde unser Präsident vermutlich dazu neigen, sie zu gewähren.«
»Militärische Unterstützung? Ihr Präsident würde Krieg gegen die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten führen, um die baltischen Republiken zu schützen?«
»Ja«, bestätigte Greenfield nachdrücklich. »Der Präsident hat zwar den US-Verteidigungsetat um ein Drittel gekürzt und in nur drei Monaten hundert Auslandsstützpunkte geschlossen, aber er kennt seine Rolle als Führer der freien Welt. Ja, er würde Truppen nach Europa entsenden, um den baltischen Staaten zu helfen.«
»Selbst auf die Gefahr eines Atomkriegs hin?«
»Atomkrieg?« wiederholte Greenfield überrascht. »Rußland würde einen Atomkrieg riskieren, um das Baltikum besetzen zu können?«
»Diesen Köder haben Sie sehr ungeschickt ausgeworfen, Sharon«, sagte Dwornikow lächelnd. Er liebte solches Wortgeplänkel ebenso, wie Greenfield sie haßte. »Ich habe nie behauptet, Rußland wolle ins Baltikum einmarschieren.«
Jetzt hatte Greenfield genug. »Hören Sie, ich will ganz offen sein.
Schluß mit diesem Scheiß, ja? Ich habe keine Lust, mich hier mit Ihnen auf politische Spekulationen einzulassen. Ein Angriff aufs Baltikum könnte
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