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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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Wahnsinn anheimfallen würde. Wie gewöhnlich saß Ferdenzil auf einem zu großen, machtvollen Pferd, das unter seiner Hand und Gerte stampfte und schnaubte. Seine äußere Erscheinung war alltäglich: etwas kleiner als der Durchschnitt, eher drahtig als gemeißelt, mit einem Allerweltsgesicht, dessen einzige Besonderheit die Asymmetrie der Wangenknochen darstellte. Sein Reiz war vollkommen ungreifbar: Die Überfülle an Energie, die Intelligenz, die Willenskraft. In jedem Raum erregte und erhielt er Aufmerksamkeit, wie es ihm gefiel, und jede abenteuerlustige Frau in der Stadt schmiedete Ränke, damit er sie bemerkte. Er hatte Telmaine vor ihrer Heirat den Hof gemacht, aber sie hatte den gierigen Ehrgeiz unter dem Charisma erschreckend gefunden.
    »Geht es den Damen gut?«, wiederholte er, während beide Frauen darauf warteten, dass die andere sprach – ob infolge der ungeklärten Frage, welche den gesellschaftlichen Vorrang genoss, oder aus einer tiefen Unsicherheit heraus, ob es ihnen nun tatsächlich gut ging, wusste Telmaine nicht. Sie war auch zu erschöpft, um darüber nachzudenken. »Ja«, sagte Sylvide endlich. »Ja, vielen Dank, Prinz Ferdenzil.«
    »Ich kann keine Eskorte für Sie erübrigen; die Lage … spitzt sich zu schnell zu, und wir müssen sie in den nächsten Minuten in den Griff bekommen, wenn es überhaupt gelingen soll.« Er hob den Kopf, als neuerliche Rufe und Gezänk laut wurden und eine Hupe erklang. »Guten Tag, meine Damen.«
    »Warten Sie!«, sagte Telmaine und reckte sich aus dem Fenster. »Er – der Sprecher – sagte, ein Edelmann sei auf der Straße niedergeschossen worden.«
    »Guillaume di Maurier«, erwiderte Ferdenzil mit leidenschaftsloser Ungeduld. »Man hat ihn heute Abend noch lebend vorgefunden, aber es heißt, seine Verwundung sei tödlich.« Dann verweigerte er sich weiteren Fragen, indem er sein Pferd herumwarf und aus der Reichweite ihres Sonars verschwand.
    Telmaine fror so sehr, wie sie auf der Treppe zu diesem verfluchten lichterfüllten Haus gefroren hatte. Ishmael hatte Guillaume di Maurier beauftragt, nach Florilinde zu suchen.
    Telmaine
    Guillaume di Mauriers enges, überheiztes Schlafzimmer war erfüllt vom Gestank nach Blut und Infektion. Der massige junge Mann lag ächzend vor Qual und Fieber inmitten zerwühlter Laken auf einem Bett, dessen kunstvoll erotische Schnitzereien Telmaine unter anderen Umständen in tiefste Verlegenheit gestürzt hätten. Doch als Rahmen für sein tödliches Leiden wirkten sie lediglich jämmerlich und grotesk. Um seinen entblößten Unterleib war ein breiter Verband gebunden. Jede Sondierung wurde von der schweißbedeckten Haut klar reflektiert. Man hatte ihm in den Unterleib geschossen. Während er den Tag über in einem Versteck liegend zugebracht hatte, war zu der Schusswunde eine Bauchfellentzündung hinzugekommen. Ein steiflippiger Arzt hantierte mit einer Vielfalt von Spritzen und Flaschen – eine Szene, die für Telmaine unbehagliche Erinnerungen heraufbeschwor –, und eine Krankenschwester in gestärkter Tracht machte sich an Schalen und Tüchern zu schaffen. Beide verströmten Missbilligung darüber, dass Verwandte in die Vorzimmer verbannt worden waren, während Fremde Einlass ins Krankenzimmer fanden. Der stoische Kammerdiener, der das Kommando über das Geschehen übernommen zu haben schien, begrüßte sie, ignorierte jedoch ihre Stimmung.
    Sylvide, die darauf bestanden hatte, sie zu begleiten, bohrte ihre Nägel in stummem Ungemach in Telmaines Arm. Der Kammerdiener trat ans Bett und ordnete das Laken auf schicklichere Weise, dann wehrte er entschlossen die Versuche des Patienten ab, es wieder abzuwerfen. »Prinzessin Sylvide und Frau Telmaine Hearne sind hier, Herr, wie ich Ihnen gesagt habe.«
    Es folgte ein langes Schweigen, einzig durchbrochen von Gils rauem Atem. Das blutleere Fleisch war zwischen die Knochen seines Gesichtes gesunken. »Hearne«, krächzte er schließlich.
    »Frau Balthasar Hearne, Herr.«
    »Sagen Sie ihr … ich … habe … sie … gefunden.«
    Telmaine drängte vorwärts und zog Sylvide notgedrungen hinter sich her. »Sagen Sie es mir!«
    Er hob die Hand, griff ins Leere und ballte sie zur Faust, während ein Schmerzenskrampf einen neuen Ausbruch von Schweiß auf sein totenschädelgleiches Gesicht trieb. Die Muskeln an seinem Hals ragten hart und scharf wie Klingen aus der Haut. Der Arzt trat vor, eine Spritze in der Hand, und zerrte Gils steifen Arm von seiner Seite. Mit vorsichtigem

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