Nachtgesang
dass dem nicht so war; und doch, als Trenniers Worte von einer Sekunde auf die andere mehr Sinn ergaben, tat die Vampir-Essenz auch in Julies Organismus ihre Wirkung und sie fügte sich ebenfalls ihrem Schicksal.
Trennier hatte es ihr angetan, ihnen allen: Ein einfacher Biss, das war alles, was es brauchte – und Zeit. Denn Trennier war gerade selbst erst ein Leutnant geworden und deshalb noch sehr schwach. Von Milan geschaffen, hatte er nur ein Minimum an Essenz in sich und war lange Zeit nur ein Knecht gewesen. Aber als das Böse in ihm wuchs, hatte er Haltung, Hinterhältigkeit und Stärke gewonnen. Also war er Milans Leutnant geworden und hatte den Auftrag, über Manchesters Insel-Zuflucht zu wachen. Oder dem, was es tatsächlich war, nämlich ein Gefängnis.
Als sie begriffen, dass das Ende nahte, waren Julie und Alan in die Nacht hinausgeflohen, in den Garten, um ein letztes Mal Liebe zu machen. Sie hatten nicht damit gerechnet, so schnell entdeckt zu werden, das war alles. Nicht an ihrem geheimen Ort, im Garten auf ihrer Gefängnisinsel. Ihrem Gefängnis, ja ... eigentlich sogar ihrer Todeszelle.
Oder vielleicht auch nicht. Denn Blut ist das Leben und es gab genug Blut in den beiden Männern. Ohne Vorwarnung ertappte sich Julie plötzlich dabei, wie sie sich vor Vorfreude die Lippen leckte. Da wusste sie, dass es schon zu spät für sie war, die ganze Zeit schon zu spät gewesen war. Aber seltsamerweise – und ganz schnell – war es ihr egal, denn sie war jetzt erwacht! Und was sie erweckt hatte:
Vielleicht war es der Anblick und der salzige Geruch von Alan Manchesters Blut oder dem des Soldaten, den er mit seiner Harpune erledigt hatte, oder beides. Wie auch immer, es hatte auf Julie wie ein Katalysator gewirkt und jetzt war der »gute Kampf« vorüber. Sie war, was sie war, und wusste, was sie tun musste. Sie bewegte sich wie ein Geist auf die beiden Männer zu und begab sich hinter sie, während sie leise in Richtung der hell erleuchteten Villa schlichen.
Sie kam immer näher, hatte die Hände erhoben und die Nägel wie giftige Klauen ausgefahren – es waren tatsächlich giftige Klauen – und wartete darauf, zuzuschlagen ...
... aber im gleichen Moment fühlte sie, dass sie betrogen worden war, von drei Dingen:
Erstens, dem vollen Mond, der hinter den vorbeiziehenden Wolken herausschaute, und das Meer und das Land in ein silbriges Licht tauchte. Zweitens von dem scharfen Rattern von automatischem Gewehrfeuer, das aus kurzer Distanz westlich erscholl. Und drittens von dem wachsamen Libellen-Spion am Himmel, der hoch oben schwebte und den von Julie auserkorenen Opfern eine dringliche Nachricht zusandte:
»Zentrales Team. Warum seid ihr auf einmal zu dritt? Habt ihr jemanden im Schlepptau?« Die Worte des Piloten waren schwer zu verstehen, sie wurden mal schwächer, mal stärker übertragen.
Lardis verstand sie nicht, aber Jake, den die Schüsse und die nicht weit entfernten Schreie, die damit einhergingen, aufgeschreckt hatten, drehte sich um und sah ...
... Eine junge Frau? Eine aufgelöste, nackte Frau?
Denn als sie gesehen hatte, dass er sich umwandte, hatte sich Julie zurückgezogen, sich geduckt und begonnen zu schluchzen und zu jammern. »Ich war im Haus!«, wimmerte sie und versuchte, ihren Körper zu bedecken, als ob sie sich für ihre Nacktheit schämte. »Sie hielten mich dort gefangen. Aber als sie euren Helikopter hörten, bewachten sie mich nicht mehr und ich ... ich ...oh!«
Sie tat so, als falle sie in Ohnmacht und Jake – der all das vergaß, was er erlebt hatte, alles, was man ihm eingetrichtert hatte – schulterte seine Waffe und trat vor.
Sie hielt sich einen Moment an ihm fest, die wunderschöne Frau, die so nackt und verängstigt und blass war im hellen Mondlicht ... so blass und so kalt. Die Frau, die seinen Kampfanzug festhielt mit einer Hand so hart wie Stahl und deren Nase sich plötzlich misstrauisch kräuselte, als sie den Knoblauch roch und deren Augen gelb wie Schwefel in der Nacht leuchteten!
Julie hielt die Vorderseite seiner Jacke mit einer Hand fest und zog die andere zurück, bis Jake ihre messerscharfen Nägel sah, die auf seinem Gesicht mit der Leichtigkeit einer Fräsmaschine blutige Spuren hinterlassen würden! Und ihr schreckliches Lächeln: die Art, mit der sie ihre glänzenden Zähne bleckte.
Jake versuchte, seine Maschinenpistole in Anschlag zu bringen, ihre Mündung auf Julies Körper zu richten. Aber sie war schneller; sie schlug ihm die Waffe
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