Nachtgesang
aus der Hand, außer Reichweite. Jetzt war ihr »Lächeln« zu einer starren, albtraumhaften Grimasse geworden – aber Jake konnte nicht sagen, ob aus Furcht oder Freude über ihre eigene Stärke. Und er konnte auch nichts dagegen tun.
Aber Lardis konnte.
Als »alter Mann« war er von der Frau fast nicht wahrgenommen, gar ignoriert worden. Ein Fehler, denn er war ein alter Mann mit dem besonderen Etwas. Er war der alte Lidesci und nicht halb so naiv wie Jake. Nicht, was Vampire anging.
Jake sah die schlanke, unglaublich starke Hand, die sich seinem Gesicht näherte, versuchte ihr auszuweichen, aber konnte es nicht. Er sah, wie sich ihre Finger krümmten, konnte fast ihre Klauen fühlen und wusste, dass er sie bald fühlen würde. Aber plötzlich änderte sich der Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie seufzte.
Sie seufzte, dann lächelte sie wieder, und diesmal war es ein wirkliches Lächeln. Blutstropfen zeigten sich in ihrem Mundwinkel. Ihre Hand streckte sich – um sein Gesicht zu berühren –, wirklich nur, um es zu berühren, fast zärtlich. Dann lockerte sie ihren Griff, ihre Augen drehten sich nach oben und sie ließ von ihm ab.
Lardis Lidesci stand drei Meter entfernt, aber seine Machete war viel näher; sie stak aus dem Rücken der Frau, wo sie ihr die Wirbelsäule durchtrennt hatte.
»Hol deine Knarre!«, knurrte Lardis, und Jake begann wieder zu atmen, nachdem er eine gefühlte Stunde lang die Luft angehalten hatte. »Hol deine Knarre, halt sie ihr in den Mund ... und bring es zu Ende.«
Jake war wie betäubt; seine Hände waren taub, als er seine Maschinenpistole aufhob. »Aber ...«, begann er zu protestieren.
»Kein Aber!«, fauchte Lardis. »Tu es, und vergiss nicht, dabei dein Gesicht wegzudrehen.«
In dem Moment, bevor Jake es tat, hörte Julie auf, sich ruckartig und gepeinigt zu winden, sie sah, wie die Mündung der Waffe sich ihrem Gesicht näherte, und sagte etwas, das Jake nicht verstehen konnte; denn es war nur ein Lufthauch. Aber er war sich sicher, dass ihre Lippen die Worte »Ich danke dir!« formten ...
Zu dem Zeitpunkt war schon viel Geschrei im Gange. Man hörte Schüsse, das Fauchen von Flammenwerfern und sah ein Flammenmeer und Rauchschwaden. Alles davon war auf die Landzunge und die Villa selbst gerichtet. Ob Vollmond oder nicht, es machte keinen Unterschied; helles Orange und gelbe Flammen schossen in die Höhe und die Schatten wurden in Jethro Manchesters Gärten zurückgetrieben.
Lardis und Jake waren die letzten, die dort ankamen, doch einer der SAS-Männer würde nie dorthingelangen. Nahe am Haus, das bereits brannte, trafen sie auf Stabsfeldwebel Joe Davis und einen seiner Männer. Der Unteroffizier hatte einen Flammenwerfer in der Hand und behielt das Haus im Auge. Davis kniete auf einem Bein und sah auf ein Paar in sich zusammengesunkene Gestalten. Seine zitternden Hände griffen immer wieder in ihre Richtung, aber zogen sich dann wieder zurück, ohne etwas zu berühren.
»Stehen Sie auf!«, befahl Lardis. »Gehen Sie da weg und lassen Sie mich mal sehen.«
Davis sah Lardis mit feuchten Augen an; er riss sich zusammen und verhinderte gerade noch so, dass seine Emotionen mit ihm durchgingen. Sein Adamsapfel hob und senkte sich, er hob sich und senkte sich, als er versuchte, sich selbst nicht untreu zu werden. »Alter Mann«, sagte er mit einer Stimme, die fast kippte. »Ich habe diesen Mann ausgebildet, diesen Jungen. Er war einer der Meinen. Aber ich habe ihn nicht dafür ausgebildet.«
Lardis zog ihn weg und murmelte: »Was hätte man ihm schon beibringen können? Es gibt kein Training für diese Art Geschehnis, außer auf dem Schlachtfeld. Das Problem ist, dass wir erst dann lernen, wenn wir verlieren.«
Er besah sich das Durcheinander auf dem Boden. Ein Teil davon, der Körper einer erwachsenen Frau in einem ehemals weißen Kleid, war ein Haufen rohen Fleischs. Sie war von Kugeln durchlöchert – einige davon waren explodiert – und ihr Körper auseinandergerissen worden. Ihr Gesicht fehlte und ihr Unterkörper schien nach außen gedrückt worden zu sein. Unter der Stelle, auf die sie gefallen war, starrte ein junger Soldat in vollem Kampfanzug blind in den Nachthimmel. Sein Gehirn war von einem hell schimmernden Hackebeil durchbohrt worden, das immer noch in seinem Schädel steckte.
Noch als Lardis schaute, zuckten die Arme der Frau, die sich an ihrem Opfer festhielt, und ein Fuß zitterte und vibrierte in einem Schuh mit abgebrochenem Absatz. Ihre Brust hob
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