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Nachtgieger

Nachtgieger

Titel: Nachtgieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Maria Dries
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schöpferische Pause einzulegen, und zogen sich an einen freien Ecktisch zurück. Bei der bevorstehenden nächsten Runde würde Sieglinde als Siegerin hervorgehen, davon war sie felsenfest überzeugt.
    Sie bestellten zwei Radler. Marlene trank einen Schluck und fragte neugierig: „Was macht dein Liebesleben, Siggi?“
    Sieglinde verzog das Gesicht: „Welches Liebesleben?“
    „Meine Oma Berta“, berichtete Marlene verschwörerisch, „wusste weisen Rat bei unglücklich Verliebten. Früher gab es da so einige Tricks, zum Beispiel Zaubertränke. Als sie noch lebte, hat sie mir oft davon erzählt. Was hundertprozentig funktioniert, ist Folgendes: Du musst dich des Nachts nackt im Weizen wälzen, das Korn daraufhin in der Mühle linksherum mahlen lassen – dieser Punkt ist immens wichtig, linksherum, Siggi! Aus dem Mehl musst du dann Liebeskrapfen backen und dafür Sorge tragen, dass dein Angebeteter sie verspeist. Das ist schon alles.“
    Sieglinde blickte ihre Freundin an, als hätte sie den Verstand verloren. „Also Marlene, ich bitte dich, glaubst du wirklich, eine realitätsbezogene, erfolgreiche Polizistin wie ich wälzt sich nackt im Weizen, noch dazu nachts?“ Empört nahm sie einen Schluck von ihrem Radler.
    „Okay, okay, dann versuchen wir eben einen anderen Trick, den hat meine Oma Berta damals bei meinem Opa angewandt. Absolut sicher und ganz einfach. Pass auf.“ Marlene legte eine geheimnisvolle Pause ein. Dann fuhr sie fort: „Du musst einen Liebesapfel zum Einsatz bringen. Vor Sonnenaufgang pflückst du den schönsten Apfel von einem Baum. Die Frucht wird vorsichtig halbiert und das Gehäuse entfernt. Auf ein Zettelchen schreibst du mit Blut deinen Namen und den deines Angebeteten und steckst ihn in die Höhlung des Apfels. Die beiden Apfelhälften werden mit grünen Zweigen von der Myrte zusammengesteckt, dann wird die Frucht im Ofen getrocknet. Jetzt kommt der schwierigste Teil. Du musst den schrumpligen Liebesapfel unter das Kopfkissen der sehnsüchtig begehrten Zielperson schmuggeln. Komm schon, Siggi, einen Versuch ist es wert.“
    Sieglinde sah ihre Freundin zweifelnd an. Sie glaubte eigentlich nicht an solchen Hokuspokus. Aber bei Oma Berta hatte die Zauberei ja angeblich auch geholfen. Die Alternative war bedrückend düster: Ein schmerzliches Liebessehnen ohne Aussicht auf Erfüllung stand ihr weiterhin bevor.
    „Also gut, abgemacht, aber wie soll denn der Liebesapfel unter sein Kopfkissen gelangen?“
    Marlene zwinkerte ihr komplizenhaft zu: „Da fällt mir schon etwas ein, Siggi. Verlass dich auf deine clevere Marlene.“
    Frohen Mutes stießen sie auf ihren genialen Plan an.
     
    Es war schon finstere Nacht geworden, als Apollonia Vierheilig beschloss, ihren Müll hinauszutragen und die Blechnäpfe für die Katzen mit den Überresten ihres Abendessens zu füllen. Hausmacher Stadtwurst, ohne Haut und in kleine Stücke geschnitten, schmeckte den Dorfkatzen, die sich regelmäßig bei ihr im Hof zum Fressen einfanden, besonders gut.
    Apollonia war eine sehr fromme alte Frau, die aufgrund ihrer schweren chronischen Rheumaerkrankung Schwierigkeiten hatte, sich fortzubewegen. Bei jedem Schritt fuhren ihr stechende Schmerzen in die Hüfte und in das linke Knie. Doch der Doktor hatte ihr empfohlen, dennoch in Bewegung zu bleiben.
    Trotz ihres hohen Alters von sechsundachtzig Jahren schmückte sie seit Jahr und Tag am Sonntag die Kirche und vor allem den Altar festlich mit frischen Blumen, Gräsern und blühenden Zweigen. Das war ihre Aufgabe und die ließ sie sich nicht nehmen.
    Fremde Katzen füttern war für sie ebenso ein Akt der Nächstenliebe, so wie gebrechliche, kranke, alte Menschen im Dorf zu besuchen, mit ihnen zu beten, ihnen vorzulesen und Mut zuzusprechen.
    Sie zog ihre gestärkte Kittelschürze fester um ihre Mitte, die mit den Jahren fülliger geworden war, strich sich eine Strähne ihres ergrauten Haares, die sich aus dem strengen Knoten gelöst hatte, aus dem rosigen Gesicht und schlurfte langsam über den dunklen Hof zur Mülltonne, die im hinteren Teil des Gartens ihren Platz hatte. Die Nachtluft hatte sich abgekühlt. Dichter Nebel hing wie erstarrt in den knorrigen, alten Kirschbäumen, an denen ihr Weg vorbeiführte.
    Plötzlich erschrak sie und blinzelte in die Dunkelheit. Hatte sich da etwas hinter dem Sauerkirschbaum bewegt? Das hintere Gartentürchen hatte sie doch abgeschlossen, oder nicht? In letzter Zeit spielte ihr das Gedächtnis manchmal einen Streich. Sollte

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