Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
Sie riechen?«
»Sie etwa nicht?«
»Nein, über eine solche Begabung verfüge ich nicht. Aber dafür kann ich Ihnen etwas über Schlemihls Geschichte erzählen.
« Obwohl ihm nicht kalt war, ging Etienne zum Kamin hinüber und legte einige Holzscheite nach. Das Flammenspiel beruhigte seine Nerven. »Der arme Kerl wurde vom Teufel höchstpersönlich um seinen Schatten gebracht. Und ohne seinen Schatten war Schlemihl ein Ausgestoßener, den die Menschen mieden. Daher schlug der Teufel ihm einen Tausch vor: Dafür, endlich wieder versöhnt mit sich und der Welt zu sein, sollte er seinen Schatten gegen seine Seele eintauschen.«
Adams Lippen verzogen sich zu einem farblosen Strich. »Soll das ein Scherz sein?«
»Könnte man fast meinen«, erwiderte Etienne und widmete sich wieder dem Flammenspiel. Auch wenn es sich vermutlich nur um einen Zufall handelte, so war er dennoch versucht, den seltsamen Humor des Dämons am Werk zu sehen. War Adam doch in einer ähnlichen Lage wie der unglückliche Schlemihl, denn auch er würde ein Ausgestoßener sein, solange er sich nicht dem Herrschaftsanspruch des Dämons beugte und von den Resten seiner Menschlichkeit abließ.
»Wie auch immer. Wir sollten morgen früh zum Bahnhof gehen und nachsehen, was wir für diese Quittierung erhalten. Vermutlich einen Koffer mit weiteren Geheimnissen und Kleidungsstücken, die aus bella Italia stammen. So wie die blutbesudelten, die Henri vorsorglich im Ofen verbrannt hat. Singen Sie doch mal ein paar Zeilen aus La Traviata - auch wenn Sie nicht den Ton treffen sollten, ich wette, dass Ihr Italienisch von ausgesuchter Reinheit ist.«
Adam konnte dem Scherz nichts abgewinnen. »Ich sollte zusehen, dass ich zum Bahnhof komme und mein Gepäck auslöse. Vielleicht finde ich dann endlich die entscheidenden Hinweise auf meine Vergangenheit.«
»Dafür ist es heute schon zu spät«, entgegnete Etienne, wobei er kurz mit dem Schürhaken auf Adam zeigte, bevor er ihn zurück in seinen Behälter steckte. »Außerdem werden wir uns
jetzt erst einmal Ihrer Gegenwart widmen. Ich habe eine Verabredung für uns beide getroffen. Sie sehnen sich doch nach Erklärungen, die Ihnen bei Ihrer Schöpfung versagt wurden.«
»Der Dämon ist nicht mein Schöpfer, er ist ein ungebetener Eindringling«, korrigierte Adam ihn. Dabei wrang er das Heft derartig zwischen seinen Händen, dass Etienne schon befürchtete, er könnte es jeden Augenblick zerreißen. Deshalb vermied Etienne es, darauf hinzuweisen, dass Adam den Dämon sehr wohl eingeladen hatte - so, wie es bei jeder Verwandlung war. Ihm diese Wahrheit beizubringen, sollte allerdings ruhig jemand anders übernehmen, jemand, der sich Adams Temperament gewachsen fühlte. Und Etienne wusste auch schon genau, wer das war.
»Wie auch immer«, beschwichtigte er den jungen Mann. »Eine gute Freundin von mir erwartet uns bereits. Sie hat einst mein Leben in neue Bahnen gelenkt, und ich hoffe, sie kann etwas Ähnliches für Sie tun. Und morgen früh, wenn Sie etwas gefestigter sind, statten wir dem Bahnhof einen Besuch ab. Aber nun kommen Sie.«
Mit einem Schulterzucken ließ Adam das Heft in seiner Manteltasche verschwinden. Auch wenn er sie nicht wiedererkannt hatte, nun gehörte Chamissos Geschichte über den Schattenlosen eindeutig ihm.
Etienne unterdrückte ein Lächeln, während er gemeinsam mit Adam zur Tür hinausging.
6
Todesboten
Es war eine dieser Frühlingsnächte, in denen die Wärme sich überraschend lange hielt. Bald würde ganz Paris in Sonnenschein und Helligkeit getaucht sein und die Seine einer grünblau funkelnden Schnur gleichen, über deren Brücken die Menschen nicht nur hasteten, sondern auffällig oft stehen blieben, um den Moment zu genießen.
Sogar zur späten Stunde übte die Seine noch ihre eigene Magie aus, auch wenn ihr Wasserlauf jetzt ein seidig glänzendes Schwarz war.
Ganz die Königin der Nacht, dachte Adam voller Ironie. Allerdings konnte auch er sich nicht der Magie des Flusses entziehen. Etienne hatte zu einem Spaziergang angeregt, denn in Paris waren die verschiedenen Arrondissements gut zu Fuß erreichbar. Adam war es nur recht gewesen, schweigend umherzulaufen, den Kopf leer, während seine Finger mit dem Heft in seiner Manteltasche spielten. Der gleichbleibende Rhythmus seiner Schritte, dem Carrière sich mit seinen deutlich kürzeren Beinen nur ungern angepasst hatte, beruhigte ihn, das dunkel dahinziehende Wasser der Seine hielt seinen Blick gefangen. Er hätte
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