Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
Konkurrenten stürzen, der es wagte, ihm die Stirn zu bieten. Ich bin stärker, knurrte er, ich bin der Überlegene .
Das Verlangen unterdrückend, die Frau zu packen und in die Knie zu zwingen, erwiderte Adam den kühlen Blick von ihr. Langsam öffnete er seine zu Fäusten geballten Hände und nötigte sich dazu, sie entspannt hinabhängen zu lassen, obwohl alles in ihm darauf drängte, zu einem Angriff überzugehen und der Forderung des Dämons Folge zu leisten.
Doch etwas ließ ihn innehalten. In den dunklen Augen der Frau glaubte er sein Spiegelbild zu erkennen: das gleiche Bedürfnis, sämtliche Bedenken wie ein zu eng gewordenes Kleidungsstück abzustreifen und sich nur seinen Instinkten zu überlassen. Zu jagen … zu erlegen … sich dem Rausch hinzugeben, sich jemanden untertan zu machen, indem man ihn überwältigte und seinen Leib mit den Zeichen der eigenen Überlegenheit übersäte. Wie eine Raubkatze, die keinerlei Schuldgefühle davon abhielt, sich neben ihrem blutenden Opfer auf dem Boden zu räkeln.
Die ganz in Schwarz gekleidete Frau hob ihre Mundwinkel, doch es wurde kein Lächeln, sondern nur das Eingeständnis, ein würdiges Gegenüber gefunden zu haben. Augenblicklich
spürte Adam einen Stich in seinem Brustkorb, der Beweis eines Schamgefühls. So bin ich nicht, wollte er laut ausrufen. Es ist der Dämon in mir. Doch das wäre eine Lüge gewesen, deshalb schob er die Frau lediglich mit einem Arm von sich fort. Ganz behutsam, damit auch kein Zweifel daran aufkam, dass er sich weder jetzt noch später auf ein Spiel mit ihr einließ.
Langweiler, spottete der Dämon, der Adam mehr denn je wie ein Imperator vorkam, dem das Treiben in der Arena zu seinen Füßen nicht blutig genug zugehen kann.
Carrière, der das Schauspiel mit angehaltenem Atem betrachtet hatte, ließ seinen Gehstock mit einem lauten Knall auf das Uferpflaster aufschlagen. »Keine angenehme, aber immerhin eine Begrüßung, wie ich sie von dir erwartet habe, Truss. Wenn du uns dann bitte passieren lassen würdest?«
Doch die Frau namens Truss beachtete ihn gar nicht.Voller Faszination starrte sie Adam an, als sei er ein Versprechen und nicht etwa ein Fremder, der zur späten Stunde um Einlass bat. Mit so schnellen Bewegungen, dass Adam die Brauen vor Überraschung hochzog, ließ sie sich neben dem Kai nieder und zog ein Fischernetz aus dem Wasser.
Obwohl ihm ein widerlicher Gestank entgegenschlug, trat Adam neben Truss und blickte auf den Fang, der sich als nackte Männerleiche entpuppte. Durch die schwarzen Maschen hindurch schimmerte wächserne Haut, der nicht einmal das rote Leuchten der Messinglampe den Anstrich von Leben verleihen konnte. Geschickt befreite Truss den Leichnam aus dem Netz, damit Adam einen Blick auf das werfen konnte, was ihr allem Anschein nach das Wichtigste schien: der aufgerissene Brustkorb, dessen Höhle leer war. Es war jedoch der von Entsetzen geprägte Gesichtsausdruck des Mannes, dem Adam sich nicht entziehen konnte.Als habe man ihm bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust geschnitten.
»Sehr schön.« Carrière wirkte mehr gereizt als entsetzt, während er Adam beim Ellbogen packte und ihn fortzog. »Wirklich lobenswert, dass du und dein elender Bruder zu guter Letzt doch noch dazu übergeht, eure Leichen zu entsorgen, anstatt sie überall in Paris liegen zu lassen. Aber so nahe an eurem Unterschlupf - ob das klug ist? Nun, wen kümmert’s? Mich nicht. Obwohl sicherlich keine Notwenigkeit besteht, den Dämon mit solch widerlichen Opferungen zu befriedigen. Das hat kein Mensch verdient.«
Die Art, wie Truss Carrière für seine Worte anfunkelte, verriet, dass sie nur allzu gern das Gleiche mit ihm getan hätte, allein für seine Unverfrorenheit. Stattdessen kauerte sie schweigsam neben ihrer Beute, die Finger in der blutleeren Wunde.
Es fiel Adam unbegreiflich schwer, sich abzuwenden. Diese Gestalt, denn die Bezeichnung Frau wollte einfach nicht richtig passen, hatte etwas in ihm zum Einrasten gebracht.Als sei er das Rad in einem Uhrwerk, das endlich das passende Gegenstück gefunden hatte. So abstoßend die Zurschaustellung des Leichnams auch sein mochte, es erschien ihm dennoch seltsam vertraut … Doch wie kann ich bei diesem Anblick etwas anderes als Abscheu und Trauer empfinden?, fragte Adam sich, und diese Tatsache verwirrte ihn weitaus schlimmer als die Verbindung, die er zu dem Ungeheuer namens Truss verspürte. War das etwa der Verlust der Menschlichkeit, von dem Carrière
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