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Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz

Titel: Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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Widerwillen: »Die habe ich auch. Über fünfundzwanzig Jahre könnte man vielleicht noch verhandeln, aber zwanzig reichen definitiv nicht aus. Schade, Charles ist kein schlechter Name.« Das Geräusch, das ihm über die Lippen kam, sollte ein Lachen sein, klang aber nur verzweifelt. »Eine Sackgasse, zum Teufel noch einmal.«
    »Nicht unbedingt.« Etienne schloss den Koffer und deutete auf einen roten, quadratischen Aufkleber, der am Lederdeckel haftete. »Allem Anschein nach waren Sie im Grand Hôtel abgestiegen - eine hübsche Adresse, wenn Sie mir diese Untertreibung erlauben. ›Mit den prachtvollen Läden, den von Licht und Gold funkelnden Schaufenstern, in denen sich alle Eleganz, aller unverzichtbare Überfluss des modernen Lebens anhäuft, ist dies der klassische Spazierweg der Müßiggänger und Ausländer. Das Grand Hôtel ist eine eigene Welt. Der großzügige, prunkvolle Zufluchtsort der Reisenden‹, wie de Saulnat es so einzigartig auf den Punkt gebracht hat.Wer auch immer Sie einmal gewesen sind, Sie wussten um die schönen Seiten des Lebens. Nun blicken Sie nicht gleich wieder so finster drein. Wir machen jetzt einen Spaziergang ins Amerikanische Viertel, in dem das Hotel liegt.Vielleicht erinnert sich jemand an Sie.«
    »Einer mageren Spur folgen wir da.« Adam ließ mutlos die Schultern hängen. Die Vorstellung, wie sein altes Ich sich Luxus und Vergnügungen hingab, stimmte ihn keineswegs froh, sondern war ihm so fremd wie dieses beschämend gut geschnittene Gesicht im Spiegel. »Was wird mir der Herr an der Rezeption
schon über mich erzählen können? Nach welchen Bars ich mich erkundigt habe und wann ich mich für gewöhnlich am späten Vormittag wecken ließ?«
    Carrière blähte die Nasenflügel auf, während er aufstand. »Was sind Sie plötzlich nur so mutlos? Eine Spur beurteilt man erst dann, wenn man ihr gefolgt ist. Außerdem sollten Sie die Neugierde Ihrer Mitmenschen niemals unterschätzen. Ein junger, schöner Mann in einer der besten Adressen der Stadt. Glauben Sie mir, so etwas fällt auf.« Da Adam sich immer noch nicht durchringen konnte aufzustehen, sagte Carrière aufmunternd: »Und falls es doch ein Schlag ins Wasser werden sollte, suchen wir uns ein Plätzchen im Café de la Paix. Ein hervorragender Ort, wenn man die Zeit totschlagen will.«
    »Das klingt ungefähr so verführerisch wie ein Schluck Champagner, seit dieser Dämon in mir haust.«
    Carrières schmale Augenbrauen zogen sich zusammen. »Man könnte fast meinen, Sie haben das Interesse daran verloren, der eigenen Geschichte auf den Grund zu gehen.«
    Adam zögerte. »Sagen wir es so:Was ist, wenn ich herausfinde, dass es nichts zu verlieren gegeben hat? Nur einen Mann, der vor sich selbst davonläuft.«
    Schlagartig wurde Carrières Gesicht ernst. »Natürlich gab es etwas zu verlieren, mein Freund. Warum sonst wäre es Ihnen wohl gelungen, den wichtigsten Teil Ihres Wesens vor dem Zugriff des Dämons zu verbergen? Wer immer Sie waren, Sie waren wertvoll.«
    Auch wenn Carrière es sicherlich nicht so meinte, entging Adam keineswegs, dass er in der Vergangenheitsform sprach. Er war wertvoll gewesen, als Mensch - nur wie sah es jetzt aus? Mit einem Anflug von Gleichgültigkeit stand Adam auf, den Koffer in der Hand. Er hätte ihn auch zurücklassen können, es hätte keinen Unterschied für ihn gemacht. Einen Schritt zurückfallend, folgte er Carrière zum Ausgang.

10
    Eine russische Affäre
    Gräfin Antonia Iwanowna - oder Toska, wie sie sich seit einigen Monaten nannte, obwohl es eine eher schmähliche Kurzform ihres Namens war - war bester Laune. Noch während des Aufstehens hatte sie den dicht fallenden Nieselregen vor den Fenstern bemerkt, der den ganzen Tag nicht nachgelassen hatte. Grau und diesig war die Welt, so wie man es im März erwarten durfte.
    Die vergangenen Tage mit ihrer unnatürlichen Wärme hatten Toska zugesetzt, nicht nur ihrem Gemüt, sondern auch ihrer Wintergarderobe, die sie zu ihrem Leidwesen schon in Italien nicht hatte ausreichend vorführen können. Was nützten einem die edelsten Pelze, wenn man in ihnen wie ein Stück Butter in der Sonne zerfloss? Gewiss, die Italiener hatten keine Chance ungenutzt verstreichen lassen, um über den angeblich kalten Winter zu schimpfen, der nicht etwa Frost und Schneemassen, sondern lediglich Matsch und Langeweile mit sich gebracht hatte. Dafür hatte Toska nur ein Kopfschütteln übriggehabt. Genau wie die Pariser es offenbar für höchst angebracht

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